Probleme und Achtsamkeit

Austausch alltäglicher Sorgen oder Freuden

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Graureiherin
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Probleme und Achtsamkeit

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr,

leider habe ich nach 8 Jahren relativ komplikationsloser Beziehung nun doch aktuell kleine/größere Beziehungsprobleme. Wir gehen sehr unterschiedlich das Leben an, wenngleich wir auch ähnliche Wertvorstellungen teilen. Unsere "Alltagszärtlichkeit" wird zunehmen weniger, das Verständnis und die Aufmerksamkeit/Respekt für einander nehmen kontinuierlich ab. Zwei Sätze habe ich noch von Seiten meines Freundes im Kopf. Zum Einen, dass er sich nicht sicher ist, ob wir in einigen Jahren noch zusammen sein werden (eben weil wir so unterschiedlich sind) .. zum Anderen, dass er momentan nicht an Trennung denkt. Mehr brauche ich jetzt nicht näher darauf eingehen, denn darauf kommt es mir nicht in erster Linie an.

Wichtiger ist für mich zu erkennen, dass mein Kopf automatisiert nach alten Mustern wie Selbstabwertungsdenken greift z. B: "Du bist es nicht wert... siehst Du war ja klar, dass alles schief geht... damit kommst Du nicht zurecht, dann werden die ZGs oder weitere psychische Störungen dazukommen etc, etc. Oder mein Kopf sucht nach "Alternativen" wie eine Affaire, um sozusagen "vorzubauen". Kurz gesagt ich bin zwischen Katastrophen denken und Alternativen suchen. Deswegen klappt auch die Sitzmediation gerade nicht sonderlich gut, da diese Gedanken recht stark sind. Wie soll ich denn auch "achtsam" sein, wenn ich am liebsten "weglaufen würde bzw. diesem Gedankensog folgen.

Sicher bin ich mir aber, dass ich diese Gelegenheit nutzen möchte, um einmal ANDERS mit Problemen umzugehen... eben nicht die Türe sperrangelweit öffnen und Katastrophengedanken reinzulassen, wie sonst immer.

Fallen euch evtl. ein paar schlaue Gedanken dazu ein?

mit lieben Grüßen

die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
lotte

Re: Probleme und Achtsamkeit

Beitrag von lotte »

Liebe Graureiherin,

vollkommen verständlich und logisch, dass es Dir im Moment schwerer fällt mit der Achtsamkeit.
Ein riesen Kompliment aber für Dein Erkennen, dass Du auf die Krise mit alten Mustern reagierst/agierst.

Das war bei mir haargenau so:
Kerl kritisiert mich, ich dreh am Rad, fühle mich abgelehnt, befürchte das Schlimmste.
Heute kritisiert er mich, ich schaue, was ich davon annehmen will, bleibe ruhig, mag mich trotzdem weiterhin ;)

Was ist passiert?
Ich vertraue MIR selbst! Liest sich so einfach, war aber für mich ein langer Weg bis dahin. Heute weiss ich, ich käme auch ohne ihn zurecht, und eine Trennung wäre keine Katastrophe und vor allem nicht meine Schuld, weil ich nix kann, so oder so ticke usw. Früher musste ich auch immer sofort eine Alternative, einen Ersatz haben, der mich bestätigt. Wenn ich heute zb eine Affäre eingehe, dann nur, weil ich Lust darauf habe, nicht aber einen Seelenretter suche.

Schau doch einfach mal, was du an Kritikpunkten von Seiten deines Freundes annehmen kannst und willst. Das gilt für ihn umgekehrt natürlich auch ;) Wenn Eure Basis stimmt, gelingt Euch der liebevollere Umgang sicher wieder miteinander. Dazu zählt aber auch, dass DU dich selbst gut um DICH kümmerst! Und jetzt mal eben nicht in die Katastropheschiene gerätst (ich bin nix wert, kein Wunder, dass er vielleicht nicht bleiben will) oder wild nach anderem suchst. Du bist liebenswert so wie Du bist und hättest bei einer möglichen Trennung ja niemals die alleinige "Schuld".

LGL
Sanna
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Re: Probleme und Achtsamkeit

Beitrag von Sanna »

Liebe Graureiherin,

Dass es schwierig ist mit der Achtsamkeit, wenn die Gedanken so kreisen ist ja nur logisch. Mir helfen dann gezielte Übungen, wie die 5-4-3-2-1-Übung. Kennst du die? Man sucht sich fünf Sachen, die man sehen, hören und fühlen kann. Dann vier Sachen, dann drei, usw. Man konzentriert sich ganz genau auf diese Übung, die ja dann schon sehr strukturiert ist. Da haben die Gedanken nicht so viel Raum zum Wandern.

Als kleine Anregung: Die Beziehung zu meinem Mann hat in meiner akuten Krankheitsphase sehr gelitten. Wir haben uns dann vorgenommen, dass wir einen Abend in der Wochen nur für uns verbringen. Der Fernseher bleibt aus, meistens gehen wir früh ins Bett, mein Mann massiert mir die Füße (das LIEBE ich!) und wir quatschen. Das tut uns total gut und hat mit dazu beigetragen, dass wir uns wieder näher gekommen sind.

LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
Graureiherin
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Re: Probleme und Achtsamkeit

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr beiden,

danke für eure Antworten.

Tja, ihr habt recht. Ich weiß im Grunde auch wo meine Verlassenwerdenbefürchtungen kombiniert mit Selbstabwertungen und Katastrophengedanken herkommen. Ich habe mit Sicherheit schon kurz nach meiner Geburt die Erfahrung gemacht, dass niemand für mich da ist... dass mein Schreien nicht wirklich etwas bewirkt...

Seit ich 15 Jahre alt bin, gehe ich nahtlos von einer Beziehung in die nächste. Das heißt, ich habe es nahezu perfektioniert mir von außen, in Form von Beziehungen, bestimmte Bedürfnisse (liebenswert zu sein, gehalten zu werden...) erfüllt zu bekommen. Vermutlich wird mein Meisterstück irgendwann einmal anstehen und es wird bedeuten, lernen mit mir selber glücklich sein zu können und dafür eben keinen Partner benötige mir das bestätigt. Ui, Ui, Ui...

Doch jetzt ersteinmal versuche ich tatsächlich zu schauen, wo sind meine Bedürfnisse in der jetzigen Beziehung. Was stimmt an der Kritik (Du hast das gut ausgedrückt Lotte), was darf und sollte ich einfordern...

Lotte, Du schreibst

"Was ist passiert?
Ich vertraue MIR selbst! Liest sich so einfach, war aber für mich ein langer Weg bis dahin"


kannst Du diesen langen Weg, in den Dir wichtigen Punkten, etwas genauer beschreiben? Das würde mich interessieren

mit herzlichen Grüßen
eure Graureiherin
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Marika
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Re: Probleme und Achtsamkeit

Beitrag von Marika »

Hallo "Vögelchen",

hey du, tut mir sehr leid, was du/ihr da gerade durch stehen müsst. Ich möchte dir von mir/uns erzählen: Wir hatten vor Jahren als meine akute Phase vorbei war und ich endlich SELBSTVERTRAUEN UND SELBSTLIEBE step by step entwickeln konnte, eine Krise. Und zwar genau DESWEGEN: Durch meine persönliche Weiterentwicklung (Selbstvertrauen usw.) war ich "anders" und mein Mann konnte da erstmal nicht mithalten. Plötzlich schien es so, als wären wir grundverschieden - waren wir in dem Moment auch. Es hat eine Zeitlang gedauert, bis ich meine neuen Persönlichkeitsmerkmale in die Beziehung positive platzieren konnte und mein Mann musste die Angst ablegen, dass seine Frau sich jetzt total verändert hat. Mein Mann war damals sehr viel weg - mit Freunden feiern, ich daheim mit Kind.

In dieser Zeit hat mir etwas sehr, sehr geholfen: Ich habe angefangen "mein Ding" zu machen. Das heißt, viele Unternehmungen mit Kind, meinen Eltern, Freunden usw. OHNE ihn geplant, aber immer gefragt ob ER mitmöchte. Anfangs kam nicht viel, ich machte echt viel alleine. Doch plötzlich kam mein Mann einen Schritt auf mich zu, fragte ob er evlt. auch mit kommen könnte. So haben wir uns langsam wieder angenähert, angefangen zu reden und da war ich erstaunt, wie viel mit der PPD zusammen hing, wie viele Fragen und Ängste meine Mann beschäftigten. Diese Zeit "ohne ihn" war aber auch für MICH sehr wertvoll: denn zum einen habe ich gesehen - ich würde das auch ohne ihn schaffen, zum anderen habe ich damals das bombensichere Fundament für meine neues Selbstvertrauen und meinen Selbstwert gelegt.

Natürlich habe ich das damals nicht bewusst so kalkuliert, es war einfach ein Impuls in mir so zu handeln. Im Nachhinein erst haben mein Mann und ich gesehen wie viel uns das gebracht hat. Ich glaube auch, dass diese Zeit "alleine" (wir waren nicht getrennt und im selben Haushalt) eine Form von ACHTSAMKEIT mir gegenüber war.

Ich hoffe, ich konnte dir etwas helfen! Denn die Möglichkeit aus dieser Krise gestärkt in der Partnerschaft weiter zu gehen, besteht alle mal!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
lotte

Re: Probleme und Achtsamkeit

Beitrag von lotte »

Liebe Graureiherin,

willkommen im Club ;) Ich war auch noch nie solo. ABER: wie Marika schon schreibt, man kann auch in einer Beziehung Dinge für sich selbst tun, an seiner eigenen Persönlichkeit weiterarbeiten. Sollte man sogar ;) Deshalb muss man sich also nicht zwangsläufig vom Partner trennen, wenn wie gesagt, die Basis stimmt.

Tja, ich habe "einfach" aufgehört, nach der Bestätigung durch andere zu suchen. Das fing bei meinen Eltern an (ich bin eben NICHT die brave Tochter, sondern lebe anders als sie). Ich habe wohl generell immer den Eindruck vermittelt, ich wäre durch meine impulsive, emotionale Art wie ein Kleinkind, dem man sagen muss, wo es lang geht. Heute liebe ich meine Art, sehe sie auch als Plus, wo sich doch viele hinter ihren Gefühlen verstecken.

Der große Knackpunkt war ja dann bei mir der Alkohol-Entzug. Danach war ich frei. Ich hatte einen sehr guten Suchttherapeuten, der mir geholfen hat, meine Ressourcen wiederzuentdecken und diese auch zu leben. So kam neben dem Kleinkind eben auch die große Charlotte zu Tage, mit ihren Fähigkeiten wie Verantwortung übernehmen, für sich selbst entscheiden und EINSTEHEN!
Egal, was ich heue also mache, ich stehe dahinter. Auch, wenn andere es nicht verstehen. Dadurch biete ich keine Angriffsfläche mehr, weil ich authentisch bin. Und auch die Konsequenzen tragen könnte, die aus meinem Tun entstehen.

Das bedeutet natürlich auch, dass ich meinem Partner gegenüber klar sagen kann, was ich möchte und auch bereit bin zu geben. Oder eben auch mal nicht ;)

Hoffe, das war einigermassen verständlich? ;)

LGL
Graureiherin
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Re: Probleme und Achtsamkeit

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr,

sorry, dass ich ich erst jetzt für eure Antworten bedanke.

Bei mir ist gerade einfach viel los. Beziehungsdurststrecke (wobei es sich etwas stabilisiert, aber Arbeit bleibt es trotzdem...), dann hatte ich vergangene Woche ziemliche Herzrhytmusstörungen mit Schwarzwerden (die Rhytmusstörungen kenne ich, aber schwarz wurde mir noch nie dabei). Das muss ich nun kardiologisch abklären lassen. Die Bienen (wir haben ja Bienenvölker) machen wieder mehr Arbeit (und ich bin meist alleine damit, weil mein Partner viel bei der Arbeit ist)...so bin ich gerade dabei meine Tage besser zu strukturieren und genau zu schauen wo meine Energie eingesetzt werden...was sein muss, was nicht, was einfach nur gut tut... ihr kennt das ja auch...

Irgendwie mache ich immer viel... und alles im Einzelnen gerne, aber in der Summe ist es dann oftmals zu viel. Dann verliere ich die Freude und es wird zu einem MUSS. Aber die Bienen aufgeben, Hmmm, das würde mir schon schwer fallen, oder unsere Obstwiese... Achja...

mit lieben Grüßen an euch
die Graureiherin
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