Verlange ich zu viel?

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Steph

Verlange ich zu viel?

Beitrag von Steph »

Ich brauche Euren Rat. Ich bin im Moment in einer tiefen Krise und ich komme nicht raus. Mein Mann war noch nie besonders hingebungsvoll wenn es mir schlecht ging, was sich auch negativ auf unsere Beziehung ausgewirkt hat. Meine Familie wohnt 200km entfernt von uns und am Wohnort haben wir nur flüchtige Bekannte, da wir erst seit 1Jahr hier wohnen.
In den letzten Tagen war er mir gegenüber irgendwie distanziert. Als ich heute mit ihm über meine Gefühle reden wollte und dass es mir schlecht geht, hat er gesagt, dass er das nicht mehr kann. Er könne mir nicht helfen und er könne mich auch nicht mehr stützen. Es tue ihm sehr leid, aber ich solle meine Eltern und meine Schwester (alle berufstätig) mehr einbinden und notfalls auch Wochen oder Monate zu ihnen ziehen. Er würde mit unserem Sohn (10J.) vor Ort bleiben. Er meinte, es können nicht 2 Leite ihre Leben wegen mir aufgeben.
Ich bin sehr verletzt, dass da nicht mehr von ihm kommt. Es tut mir von Herzen leid, dass er unter einer depressiven Frau zu leiden hat, aber was ist mit meinen Qualen? Das sind Höllenqualen. Und woe soll ich das alleine, ohne Stütze bewältigen? Ich möchte mich natürlich nicht von meiner Familie trennen, um mich von meinen Eltern pflegen zu lassen.
Verlange ich zu viel von ihm?
Das Gespräch mit ihm wirkt sich vermutlich morgen wieder begativ auf meine Psyche aus. Ich fühle mich so allein gelassen...
lotte

Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von lotte »

Hey Steph,

nein, eigentlich "verlangst" Du nicht zuviel. Und sein Vorschlag, Du könntest ja dann zu Deinen Eltern ziehen, finde ich, ehrlich gesagt, sehr verletzend Dir gegenüber. Und klar, dass Du Dich jetzt allein gelassen fühlst.

Natürlich sind auch unsere Partner mehr oder weniger überfordert mit unseren Krankheiten, zumal es ja kein Schnupfen o.ä. ist, der nach ein paar Tagen ausgestanden wäre. Ich frage mich heute auch noch öfter, wie es mein Mann ausgehalten hat, mit einer ängstlichen Frau, einer 4,5 jährigen und einem Baby. Aber auch hier ist jeder anders, hat eine andere Toleranz/Schmerzgrenze.

Wichtig fände ich, ihm das offen zu sagen, dass es Dich traurig macht, dass er so reagiert. Und was soll das überhaupt heissen, "zwei Leute würden ihre Leben wegen Dir aufgeben"? Das ist doch Quatsch und setzt Dich nur vermehrt unter Druck.

Du kannst das alles alleine bewältigen, denn bei der Aufarbeitung Deiner Krankheit kann er Dir wirklich nicht helfen, denn das ist Deine Baustelle. Er kann Dir unterstützend zur Seite stehen, Dir aber Deine Gefühle und Gedanken nicht abnehmen.

Das heisst: schau, dass Du wieder auf die Beine kommst. AD + Therapie, damit es Dir besser geht.
Anders geht es nicht.

LGL
Steph

Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von Steph »

Vielen Dank für Deine Antwort, liebe Lotte! Ich weiß, dass ich die Krankheit selbst bekämpfen muss. Das tue ich auch, ich habe mich für eine Tagesklinik angemeldet. Es wäre nur wünschenswert, wenn ich das Gefühl hätte, den Rücken vom ihm gestärkt zu bekommen und Aufmunterung zu erfahren, anstatt alleine gelassen zu werden. Das würde mir vielleicht auch eine gewisse Stabilität geben.
lotte

Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von lotte »

Sicher wäre das schöner.
Das mit der Tagesklinik wollte ich Dir auch vorschlagen ;)

Vielleicht kann er ja besser mit allem umgehen, wenn Du in der Klinik bist. Gibt ihm eventuell das Gefühl, das nicht alles auf ihm "lastet", weisste wie? ;)

LGL
Steph

Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von Steph »

Danke für Deine aufmunternden Worte. Ich hoffe es :?
Sanna
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Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von Sanna »

Hallo!

Ich verstehe total, dass du dich allein gelassen und verletzt fühlst. Die Aussagen deines Mannes sind genau das, was man als psychisch Erkrankter NICHT braucht. Ich weiß nicht, was man von Angehörigen erwarten darf und sollte. Ich finde nur, dass man sich ja irgendwann mal versprochen hat "in guten und in schlechten Zeiten". Daran sollte man sich auch halten.

Ich finde es aber völlig okay, dass auch Angehörige mal an dem Punkt sind, dass sie vielleicht nicht mehr "können". Das geht uns ja auch so und das sollte man jedem zugestehen. Aber dann muss man sich (auch die Angehörigen) da gefälligst weiter durchkämpfen. Das haben wir verdient, dass man zu uns hält und uns den Rücken stärkt.

Ich gebe Lotte Recht, dass du natürlich alleine in der Therapie deine Baustellen abarbeiten musst. Dich zu unterstützen, zuzuhören und zu trösten, das finde ich ist Aufgabe deines Mannes. Wir haben uns diese Scheiße ja nicht ausgesucht.

Ich hoffe, ich konnte dir eine Hilfe sein.

LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
Steph

Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von Steph »

Liebe Sanna,
vielen Dank für Deine Antwort. Ich sehe es im Grunde auch so. Ich bin nur immer verunsichert, ob ich da zu egoistisch bin. Deahalb tut es gut, das von Dir so zu hören!
LG
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Marika
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Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von Marika »

Hallo,

ich möchte mich meinen Vorschreiberinnen anschließen. Vielleicht könnte dein behandelnder Arzt mit ihm sprechen? Ihn über deine Erkrankung aufklären und sich dabei auch seine Ängste und Sorgen anhören? Vielleicht hat er schlicht eine falsche Auffassung davon, WIE er dir helfen kann - da könnte ein klärendes Gespräch mit einer Fachperson sehr helfen.

Und ganz wichtig und toll finde ich was Sanna geschrieben hat: in guten wie in schlechten Zeiten - daran kannst du ihn vielleicht mal erinnern. Ich finde, das würde auf jeden Fall heißen, dass er sich die Zeit für ein Gespräch mit deinem Arzt nimmt - oder am besten ihr 3 zusammen!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Steph

Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von Steph »

Vielen Dank für Deine Antwort! Ich werde ihn fragen, ob er dazu bereit ist. Es gibt hier eine Familien-Ambulanz für Angehörige von Patienten. Vielleicht schlage ich ihm das mal vor...
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Marika
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Re: Verlange ich zu viel?

Beitrag von Marika »

Das ist eine sehr gute Idee!!!!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
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