Über die Krankheit sprechen oder nicht?

Austausch alltäglicher Sorgen oder Freuden

Moderator: Moderatoren

Glu

Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Glu »

Hallo ihr lieben,

Wie ihr vielleicht schon gelesen habt, gehe ich wieder arbeiten.
Unser Arbeitsklima im Betrieb ist sehr gut und klar, man spricht über vieles.
Die engsten Kollegen haben natürlich gefragt, wie die Zeit zu Hause war und wie ich es so fand.
Ich habe dann offen erzählt, wie es mir eine Zeitlang ging.
Erst waren sie etwas sprachlos, weil ich ja immer so ein positiver und fröhlicher Mensch war (zumindest bei der Arbeit). Erst danach haben einige andere auch erzählt, dass sie z.b. Überfordert waren, in psychologischer Behandlung waren usw.

Ist das wirklich so ein Tabu Thema? Alles heile Welt?
Es war ein "tolles" Thema und wir konnten kaum weiterarbeiten ;))

Würde mich mal interessieren welche Erfahrung ihr gemacht habt?

Vg glu
Pippilotta

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Pippilotta »

Hallo Glu!

Toll, dass du so offen warst. Und noch toller, wie deine Kollegen reagiert haben! So ein arbeitsklima sollte jeder haben.
Ich bin auch immer offen mit der PPD umgegangen, habe aber noch nie jemanden getroffen, dem es ähnlich ging. Allerdings auch noch nie jemanden, der mich nicht verstehen konnte (denke ich zumindest) :-) auch bei mir kamen schockierte Blicke, da ich auch ein sehr fröhlicher Mensch bin.

Liebe Grüße und alles Gute weiterhin!

Pippilotta
Astrid77

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Astrid77 »

Ich gehe auch ganz offen damit um. Ich versuche halt, die Leute nicht gleich zu überfordern, denn es gibt ja auch welche (gerade Männer) die damit nicht umgehen können, wenn jemand einem so etwas persönliches erzählt. Frauen mit Kindern erzähle ich es aber meistens irgendwann einmal, vor allem wenn ich merke, jemandem geht es schlecht, dann ist es für diejenige gut zu wissen, dass es jemandem ähnlich geht/ging. Ich glaube dazu hat jede was zu erzählen, die Kinder hat. Ein einziges negatives Erlebnis hatte ich, als ich es einer jungen Frau, frisch verheiratet und mit Kinderwunsch erzählt habe. Das kam nicht gut an und ich habe dann auch verstanden, dass sie nicht wollte dass ich ihr ihren Traum schlecht rede - und dann haben wir einfach das Thema gewechselt.
Pippilotta

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Pippilotta »

Meine schwangere Freundin hat sich seit der PPD jetzt auch sehr von mir distanziert und schreibt jetzt nicht mal mehr zurück.
Glu

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Glu »

Hmm, das ist schade.
Leider ist es oft so, dass manche Freunde nur da sind, wenn es einem gut geht..
Oder sie wissen nicht wie man umgehen soll und ziehen sich zurück.
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Marika
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Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Marika »

Hallo,

für mich ist Offenheit auch ganz wichtig und ich würde heute sagen, dass sie auch ein Schlüssel zu meinem Gesundwerden war. Ich habe auch nie Ablehnung erfahren, Bestürzung ja - aber danach kamen immer mehr Fragen, wie denn sowas ist, warum und weshalb. Viele aber kannten psych. Erkrankungen aus eigener Erfahrung (haben aber geschwiegen bis dahin :idea: ), oder von Verwandten bzw. Bekannten.

Ich erzähle es nicht gleich - klar. Das ist Gefühlssache. Offenheit, darüber reden ist wie eine Therapie, denn so verarbeitet man das Ganze!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
kitty

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von kitty »

Wow, finde es super wie ihr mit der Krankheit umgehen könnt.
Bei mir ist das leider nicht so. Nur mein Mann und meine Eltern wissen Bescheid.

Hätte ansonsten doch zu viel Angst vor negativen Rückmeldungen. Hätte auch Angst, dass man mich nicht mehr "für voll nimmt", das ich schwach bin, nicht ernst genommen werde.
Eigentlich Schwachsinn. Ja, ich weiß. Es beweist doch eigentlich ziemliche Stärke, wenn man zu der Krankheit "steht".
Doch diese Stärke habe ich (noch) nicht.

Auch bei meiner Arbeit in der Vergangenheit habe ich oft mitbekommen, das psychische Erkrankungen noch oft ein Tabuthema sind. Und es doch noch einige Menschen mit Vorurteilen gibt.

Ich bewundere euch :-)
Graureiherin
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Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr,

mein Bericht vor ein paar Tagen war einfach weg...

ich wollte noch sagen, dass fast alle meiner Freunde bescheid wissen, diese sind selber sehr offen und reflektiert (und haben großteils selber Therapien hinter sich- man sucht und findet sich :-) ) Bei der Arbeit ist es nur meine Hauptkollegin.

Ansonsten wissen es aber auch einfach viele Bekannte nicht und Treffen mit ihnen bezeichne ich immer als meine "Auszeitfreizeit".

mit Grüßen und ein Kompliment an Deine Arbeitskollegen!

die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
Glu

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Glu »

Danke euch, interessant zu lesen wie es so bei euch ist. :)

Ich würde es natürlich nicht gleich jedem erzählen, aber wenn die Chemie stimmt, dann mache ich das auch. Ja, meine Arbeitskollegen sind schon prima. Deshalb tut es mir auch so gut, wieder arbeiten zu gehen. ;)

Vg glu
Kati81

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Kati81 »

Hallo Mamis,

ich werde es auch nie verstehen, warum psychische Erkrankungen und besonders Depressionen so ein Tabuthema noch heute sind. Noch dazu, wo soviele Promis sich auch öffentlich bekennen...

Muss man sich dazu "bekennen"???

Die Erfahrungen die ich machen musste sind und waren sehr unterschiedlich. Als ich es in meiner ehemaligen Arbeit erzählt habe und auch den Chefs wurde ich gekündigt, weil ich ja eh den Arbeitsstress und Druck mit so einer Verantwortung nicht standhalten würde.

Als ich ein anderes Mal mit einer Arbeitskollegin darüber sprach, erntete ich nur Spot und dann auch Mobbing. Wurde ausgegrenzt.

Allerdings hatte ich auch viele Arbeitskolleginnen, die mir sogar geholfen haben und großes Verständnis für meine Erkrankung haben. Da kam in Gesprächen oft raus... Echt... Du hast auch sowas...

Ich hatte auch Freunde die sich völlig distanzierten, mit der Begründung sie wüssten nicht wie es ist "depressiv" zu sein. Und wie kann man dann "so" dann auch noch ein Kind haben...

Ich bin froh und traurig über meine Erfahrungen. Schade dass sehr viele Menschen bis heute nicht wissen was PPD bzw. Depressionen sind...

Liebe Grüße
Kati
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Marika
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Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Marika »

Ja Kati, da hast du recht. So aufgeklärt unsere Zeit auch ist - es ist immer noch ein Tabu. Gerade DARUM rede ich offen darüber, egal was ich für eine Resounance ich bekomme. Da müssen die anderen dann einfach durch.... :lol: Mittlerweile bin ich Gott sei Dank so stark, dass mich negative Äußerungen fast gar nicht mehr belasten.

Meine beste Freundin z.B. kann mit dem Thema gar nicht gut umgehen. Mir gegenüber aber versucht sie das zu akzeptieren, aber einer anderen Bekannten von uns die das selbe hatte, ist sie sehr ablehnend wenn sie darüber redet. Was mir aber auffällt ist, dass meine Freundin eine weitaus schlechtere Lebensqualität hat als ich und das obwohl sie eine "starke" Person ist. Und ich behaupte jetzt hier ganz frech, dass das den meisten der "Ignoranten" so geht. Schaut sie euch mal genau an diese Menschen die euch vielleicht blöd angeredet oder gar gemobbt haben deswegen... Das können nur "dumme" Menschen sein mit null Einfühlungsvermögen, niedrigem Selbstbewusstsein und großer Intoleranz auch bei anderen Themen. Insofern sind es DIESE Leute die eine Therapie bräuchten, aber WIR machen sie .... verkehrte Welt, oder?!

Aber wir sind genau wegen unserer PPD, unserer Therapien und dem arbeiten an uns in der Lage solche Menschen zu entlarven. Erkennt sie als das was sie sind: gefühlsarme Individuen, die eigentlich im Tiefsten Inneren ihrer Selbst unzufrieden und voller Komplexe sind.
Liebe Grüße von
Marika

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Astrid77

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Astrid77 »

Dazu ein Zitat aus einem Buch:

"Wenn man als Psychiater und Psychotherapeut abends Nachrichten sieht, ist man regelmäßig irritiert. Da geht es um Kriegshetzer, Terroristen, Mörder, Wirtschaftskriminelle, eiskalte Buchhaltertypen und schamlose Egomanen – und niemand behandelt die. Ja, solche Figuren gelten sogar als völlig normal. Kommen mir dann die Menschen in den Sinn, mit denen ich mich den Tag über beschäftigt habe, rührende Demenzkranke, dünnhäutige Süchtige, hochsensible Schizophrene, erschütternd Depressive und mitreißende Maniker, dann beschleicht mich mitunter ein schlimmer Verdacht: Wir
behandeln die Falschen! Unser Problem sind nicht die Verrückten, unser Problem sind die Normalen!"
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Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Marika »

Super dieser Text, Astrid - genau SO IST DAS WIRKLICH!!! Und vielleicht werden wir ja genau wegen dieser "Normalen" zu "Verrückten". Weil uns ihre Abartigkeiten die in der Gesellschaft vielfach toleriert werden ganz klar als abnormal auffallen. :idea:
Liebe Grüße von
Marika

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Kati81

Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Kati81 »

:lol: das stimmt :P

Viele dieser Menschen, die diesem Thema "negativ" gegenüber stehen bräuchten selbst dringend eine Therapie ;-)

Ist euch schon mal aufgefallen, dass die meisten die depressiv erkranken, ein großes Herz haben? Mir ist das in der Klinik aufgefallen, als man so Kontakt zu anderen gesucht hat... Viele davon hatten Berufe, wo man viel Verständnis, Geduld und Herz braucht. Arzthelferin, Pädagogen, Erzieher, Krankenpfleger, etc....

Ich selbst "war" Zahnarzthelferin allerdings in der Verwaltung überwiegend tätig. Mich hat es oft echt fertig gemacht wie die Ärzte und manche Kolleginnen ohne Herz mit den Patienten umgegangen sind.... Merken die denn nicht, das oft schon ein liebes Wort, helfen kann? Ich bin oft zu den Patienten gegangen und hab ihnen aufmunterndes zugesprochen... Viele haben sich danach bei mir bedankt...

Und ganz ehrlich ich bin lieber ein Mensch und eine Mami mit viel Herz, als ignorant und gefühlskalt... Auch wenn ich dafür oft kämpfen muss!
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Marika
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Re: Ãœber die Krankheit sprechen oder nicht?

Beitrag von Marika »

So geht es mir auch. Ich mag meine Sensibilität mittlerweile, denn sie ist eine enorme Stärke. Früher sah ich sie als Makel den es abzulegen gilt, weil die Gesellschaft sie als Schwäche sieht. Die PPD hat mich dahin gehend wachgerüttelt, dass ich erkennen konnte wie lange ich eigentlich schon gegen meine Natur gelebt habe. Nie würde ich tauschen wollen gegen dieses angeblich an zu strebende "Stark sein". Damit bin ich in der Lange mich in Menschen hinein zu versetzen, Zusammenhänge im Zwischenmenschlichen zu erkennen.

Und mir ist ebenfalls aufgefallen, dass die Menschen mit "Herz" mehr betroffen sind von psych. Erkrankungen - man muss sich nur hier bei uns umsehen! :wink:
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
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