Und wieder erwischt

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bine1979

Und wieder erwischt

Beitrag von bine1979 »

Hallo ihr lieben Frauen,

eigentlich bin ich gar nicht neu hier, habe mich aber lange nicht gemeldet! Ich bin immer froh gewesen, wenn ich nicht hier her kommen brauchte, weil ich dann wusste, mir geht's mit einigen Ausnahmen gut.

Ich habe 2008 meinen Sohn bekommen. Schon während der SS litt ich an einer Angststörung, wohl weil ich jahrelangen Kiwu hatte und ich dann schlimmste Angst bekam, das der Kleine im Bauch verstirbt. Ich konnte nicht mal den Salat meiner Mutter essen, weil ich Angst hatte, sie hat ihn nicht richtig gewaschen. Ich habe erkannt, das es nicht gesund ist und habe mir auch eine Therapeutin gesucht...Die jedoch war alles Andere als hilfreich.

Mein Onkel erlitt dann auch noch einen Autounfall, musste dementsprechend ins Krankenhaus und verstarb 1 Woche nach Pauls Geburt an den Folgen eines Krankenhauskeims. Alles kam auf einmal, Geburt und Tod!
Ich entwickelte eine schwere Angststörung mit massiven Zwangsgedanken. Ich bin wie viele hier durch die Hölle gegangen. Habe kein Licht mehr im Tunnel gesehen.
Ich ging in eine Klinik, für 3 Wochen, zur AD- Einstellung...Für mehr hat diese leider auch nicht gereicht.
Mein Mann wurde beruflich für zunächst 1 Jahr abgezogen, daraus wurden 3 Jahre. Nur noch am Wochenende war er da. Ich war also alleine mit dem Zwerg, meiner Angst und dem Zwang. Einen Therapeuten fand ich 60 km weit weg. Er kannte sich gut aus, aber in Allem sagte er mir nicht richtig zu.
Das Beste was er mir aber mitgab war die 4-Schritte-Methode, eine Form des Achtsamkeitstraining, welche mich sehr gut unterstützte.
Ich half mir selbst mit Büchern: Der Kobold im Kopf ( Danke, Marika:-) ), Alles unter Kontrolle, Frei werden von Zwangsgedanken ( für mich das Buch zur Selbsthilfe überhaupt ) und Gefühle verstehen, Probleme bewältigen von Doris Wolf ( auch eine Sensation ).
Die Jahre vergingen. Ich konnte die AD reduzieren. 2010 habe ich eine Tiefenpsychologische Therapie begonnen und sie 2012 abgeschlossen...Mit wenig Erfolg, aber nicht umsonst. Ich reduzierte, Symptome kamen, ich bewältigte sie, fühlte mich gut, war aber NIE beschwerdefrei...sicher mal einige Zeit, aber hinter jedem unsinnigen Gedanken, versteckte sich das Gefühl der Angst, immer so viel, das ich gut damit umgehen konnte!!
Im Juni 2012 wagte ich mich ans Absetzen :roll: . 2 Wochen später schlichen sich Symptome ein, ich wollte aber kämpfen, arbeiten, Siegen! Im September verlor ich den Kampf und ich hatte einen krassen Rückfall. Alles wieder von vorne! Ich war am Boden zerstört. Frustriert, konnte und wollte es nicht akzeptieren. Der Vertretungsarzt empfohl mir Citalopram, anstatt dem AD was ich sonst nahm ( Sertralin). Ich wollte ein. Es dauerte gut 5 Wochen, bis ich wieder arbeiten konnte. Eine Rehabilitation musste her. Antrag gestellt. 5 Monate, plus Widerspruch hat es gedauert, bis ich mit meinem Sohn in der Vogelsbergklink in Hessen für 5 Wochen einziehen durfte.
Es war eine super Rehabilitation und ich kann sie nur jedem empfehlen. Wir waren dort von Mai bis Juni und anschließend im Urlaub am Chiemsee, ich nahm 6 kg zu und war rundum zufrieden, so zufrieden, daß ich schwanger wurde und im Sommer 2014 unseren zweiten Sohn bekam. Während dieser Zeit hatte ich wieder auf Sertralin umgestellt und diese die gesamte Schwangerschaft genommen. Im Jahrestakt reduzierte ich die AD...Doch ich war NIE frei, hatte immer mal was gemerkt. Ihr seht ich räume meinen Fehler ein, dies zu tun, aber der Wunsch nach Unabhängigkeit vom AD war so groß!!!
Letztes Jahr kam ich dann bei mickrigen 25mg an und nahm zum Schluss nur noch sporadisch welche, wenn es mir schlecht ging...langsamer hätte ich nicht absetzen können.
Ostern dieses Jahres war es dann soweit, ich nahm keine mehr. War, wenn ich zurück denke ein Fehler, denn es waren schon zu dieser Zeit überdurchschnittliche Sorgen da! Keine ZG, aber Sorgen, mehr als bei anderen Menschen.
In den letzten 4 Wochen spürte ich große Angst vor Krieg und Terror. Eigentlich normal zur Zeit, aber mein Tag wurde nur noch davon bestimmt, das ich Angst hatte. Ich fühlte mich so, als sei es morgen vorbei!
Vor 10 Tagen kam dann der eigentliche Rückfall, wo ich nicht mehr schlafen und nicht mehr essen konnte. Angstzustände, Panikattacken, Übelkeit, alles wie ich es kannte. Ich bin dann letzte Woche zum Arzt, fragte ihn, ob ich mit 25 mg wieder einsteigen kann. Er sagte ja, bis 100 mg steht mir alles offen. Ich bin nach Hause, es begann die Grübeln in, wieviel nehme ich, sind 25 mg nicht zu wenig, 100 mg will ich nicht. Ich war so enttäuscht und bin es heute auch noch, aber ich weiß, ohne geht es einfach nicht! Ich bat meinen Arzt, das er die Entscheidung treffen soll, wieviel ich nehme. Nun liege ich bei 75 mg. Mir geht es wieder etwas besser, keine Panik mehr, aber mein Antrieb ist noch nicht der Alte. Wenigstens kann ich wieder meine Kinder versorgen. Allerdings ist er wieder im Hause. Der Zwang. Katastrophe! Wieder muss ich an ihm arbeiten, OBWOHL ich doch weiß, daß es nur Gedanken sind, habe ich das Gefühl der Angst. Ich weiß es alles so genau und trotzdem fühle ich mich noch ausgeliefert. Das ist etwas, was ich nicht verstehe.

Mein Name ist Sabine :D und ich habe 2 Söhne, fast 2 und fast 8. Vielleicht erkennt mich noch die Ein oder ANDERE wieder 8) .
Marika habe ich schon Hallo gesagt, ich bin nachwievor begeistert von ihr und konnte sogar in den letzten Tagen wieder viel aufsaugen:-),aber auch andere Beiträge, besonders über den Zwang haben mir wieder ein Aufatmen geschenkt.
Es werden jetzt wieder einige anstrengende Wochen kommen. 1 Woche warte ich noch, vielleicht 2. Sollte ich was die ZG angeht keine Besserung sehen, werde ich auf 100 mg hochgehen. Wir wollen in den Urlaub, der Erste nach 3 Jahren und den will ich genießen.

Liebe Grüße, Sabine
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Marika
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Re: Und wieder erwischt

Beitrag von Marika »

Liebe Sabine,

ich möchte dir auch hier nochmal offiziell "Hallo" sagen - schön, dass du wieder da bist, die Umstände sind es natürlich nicht. Aber: du weißt dass du hier bei uns in besten Händen bist, denn wer weiß besser wie du dich fühlst, wenn nicht wir! :wink:


"Ich weiß es alles so genau und trotzdem fühle ich mich noch ausgeliefert. Das ist etwas, was ich nicht verstehe."

Ganz bewusst habe ich mir diesen Satz von dir herausgepickt und möchte gerne darauf eingehen. Mir ging es damals ähnlich, als ich nach kompletten Absetzen erkennen musste: ohne AD geht es bei mir nicht. Hier hat mir der Vergleich meines Arztes geholfen. Es ist wie wenn jemand mit sehr heller Haut auf die Welt kommt (genetische Komponente) - diese Person wird sich ein Leben lang extrem vor der Sonne schützen müssen, bekommt mitunter sogar im Schatten einen Sonnenbrand. Er/Sie kann nichts dafür - es ist wie es ist - eine Laune der Natur, aus der man einfach nur das Beste machen kann. Ein großes Stück weit ist das auch bei psych. Krankheitsbildern (natürlich spielen hier auch Erfahrungen und psychosoziale Einflüsse mit) so. Manches ist uns Ansatzweise bereits in die Wiege gelegt, Lebensumstände machen dann den fertigen Cocktail draus und bei doch einigen von uns reichen da Therapien und AD auf Zeit nicht aus. Es braucht dann für "immer" eine "Sonnencreme" (angelehnt auf den Vergleich von oben), in den "Schatten liegen" alleine reicht nicht. :idea:

Soll heißen: Nur weil du alles in der Therapie gelernt hast, heißt es nicht, dass du quasi jetzt im Stande sein musst, diese "Besonderheit" alleine damit im Griff zu haben. Vielmehr soll das Gelernte aus der Therapie dir helfen, in einem Tief schneller wieder Boden unter die Füße zu bekommen - zusammen mit dem AD. Im besten Fall kannst du mit AD völlig beschwerdefrei leben (so wie ich seit Jahren ohne irgendein Tief in Sachen Zwang). Versuch zu verstehen, dass man - gerade wenn es um Zwänge geht - nicht automatisch davon ausgehen darf, dass man irgendwann alles nur mit dem Therapiematerial stemmen kann bzw. muss. Dieser Brocken "Zwang" ist bei ganz vielen chronisch - er kann immer wieder kommen. Aber mit der richtigen AD-Einstellung und guter Therapie plus natürlich Lebensumstände ändern usw.... (das ist ja ganz individuell - da muss jede IHREN WEG finden) kann es wirklich gelingen ein sehr gutes Leben zu haben. :D
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
bine1979

Re: Und wieder erwischt

Beitrag von bine1979 »

Danke Marika :D
Vor 1 Woche habe ich diese Erklärung von dir schonmal gelesen und da war ich einfach nur begeistert. Es hat mich einen Schritt weiter gebracht, in meiner Akzeptanz.
Ich merke das es besser wird und daher sehe ich, wie wichtig das AD für mich ist.
Viele liebe Grüße

Sabine
Graureiherin
power user
Beiträge: 530
Registriert: 07:01:2015 12:57

Re: Und wieder erwischt

Beitrag von Graureiherin »

Liebe Sabine,

auch ein Hallo und Verständnis von mir.

Ich kann Dich von daher gut verstehen, weil ich nach einem Absetzversuch auch einen Rückfall erlebt habe. Ich kenne also die immense Enttäuschung. (Zudem bin ich Zwänglerin, wenn auch seit einiger Zeit symptomfrei).

Ich glaube wirklich, dass es das Beste ist wenn wir die Umstände so annehmen wie sie eben sind. Manche Menschen kommen ohne Medis zurecht, manche nicht. Vielleicht gehörst Du (und ich) zu diesen.

Meine Neurologin meinte zudem: Rückfall klingt immer negativ. Ich soll versuchen das Ganze als Aufforderung zu sehen an mir weiter zu arbeiten. Z. B. zu schauen was ich evtl. noch an schädlichen Verhaltensweisen ändern kann oder wie ich mit Stresssituationen besser zurecht komme, mir Schönes gönnen etc... Eigentlich das was jeder Mensch tun sollte, nur wir werden in besonderer Weise von unserer Seele daran erinnert.

Ich glaube auch, dass es wichtig ist, sämtliche "Spielräume" die wir zur Verfügung haben zu nutzen. Sei es Achtsamkeitsmethoden, vielleicht doch einen neuen Therapeutenmenschen (Du warst glaub nie wirklich ganz zufrieden mit Deinen Theras?) ... Es gibt viele ansprechende und interessante Angebote. Natürlich nicht alles auf einmal, nicht zwanghaft :wink: sozusagen als immerwährender Prozess um unserem Leben Stück für Stück immer mehr Qualität zu geben.

mit herzlichem Gruß und viel Kraft
die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
Kim89

Re: Und wieder erwischt

Beitrag von Kim89 »

Das habt ihr sehr gut geschrieben!!! Und es ist wirklich so
....akzeptieren, ist das Zauber Wort. Auch mir fällt es schwer. Aber ich will LEBEN für mich und meine FAMILIE. Und wenn das heißt ich muss Tabletten nehmen, dann tue ich das sehr gerne!!!
bine1979

Re: Und wieder erwischt

Beitrag von bine1979 »

Liebe Grauheierin,

ja, ich habe noch keinen richtigen Thera gehabt und bin derzeit auf der Suche, was sich als recht schwer entwickelt.
Ich akzeptiere jetzt, das es so ist wie es ist. Das ich Tabletten nehmen muss. Genau Kim89, für mich und meine Familie. Absolute richtige Entscheidung, welche ich auch zu 100% teile.

Meine Cousine ist Psychologin, aber nicht meine Therapeutin. Manchmal fragt sie mich, wie es mir geht. Am Anfang schrieb ich ihr, ich will nicht wieder alles von vorne.
Darauf antwortete sie...."Alles von vorne: So lernt man laufen!"
Die Antwort gab mir Kraft und Zuversicht...
Bis bald, Sabine
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