Schwangerschaftsabbruch

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Tami84
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Schwangerschaftsabbruch

Beitrag von Tami84 »

Hallo zusammen. Ich schreibe hier um ein sehr sensibles wie auch umstrittenes Thema „Schwangerschaftsabbruch“.

Ich bin 39 Jahre alt und leide seit meinem 19. Lebensjahr an einer generalisierten Angststörung mit allen Höhen und Tiefen. Es gab Zeiten, da wollte ich nicht mehr leben, weil ich die Ängste und die daraus resultierenden Depressionen nicht mehr aushalten konnte und wollte. Durch Medikamente konnten diese Peaks zum Glück abgefangen werden. Ich habe sehr viel Therapie gemacht und war auch schon 2x stationär in einer psychosomatischen Klinik. Trotz diesem Päckchen bin ich immer arbeiten gewesen und habe den Alltag gemeistert.

Ich habe lange über das Thema Kinder nachgedacht. Die Angst natürlich ganz vorne mit dabei „du schaffst das nicht“, was ist wenn du wieder in eine Klinik musst“, was ist wenn, was ist wenn…… Mein Partner hat mir viel Mut gemacht, er wäre ja auch noch da sowie meine Eltern. Alle würden mich unterstützen.

Gesagt getan. Mit 33 haben wir es darauf ankommen lassen. 3 Fehlgeburten folgten in den darauffolgenden 3 Jahren. Das hat mich geschlaucht, psychisch richtig fertig gemacht. Hab mir eingeredet als Frau versagt zu haben. Jeder Depp kann Kinder bekommen nur du nicht, etc. Als ich mich beruflich neu orientieren wollte bin ich mit meiner Tochter schwanger geworden. Oh aber da war sie wieder die Angst. Klopfte an die Tür und sagte mir jeden Tag, dass ich das nicht schaffe mit immer denselben Fragen, was ist wenn, was ist wenn. Meine Gedanken haben mich sichtlich zerlegt. Ab dem 7. Monat und viel Therapie wurde es besser. Aber nur etwas. Dann der Schock, sie kam 6 Wochen zu früh. Mir ist einfach die Fruchtblase geplatzt. Aber zum Glück ist alles gut gegangen. Sie war fit und konnte nach 2 Wochen Klinik ohne Probleme nach Hause.

Was soll ich sagen? Meine Tochter hat mein Leben verändert, mein Leben in jeglicher Hinsicht bereichert und ich hatte bzw. habe eine Aufgabe, die mich fordert und nicht so viel nachdenken lässt. Ich liebe es Mama zu sein. Ja es war hart. Dieser Schlafentzug war nicht ohne. Mein Stresspegel war ja schon seit Jahren hoch durch die massiven Ängste und so haben mich viele Situationen schnell an meine Grenzen gebracht. Aber es war alles machbar und die Liebe zu meiner Tochter hat alles in den Hintergrund gerückt. Ich hatte auch keine Wochenbettdepression oder Probleme mit den Gefühlen zu meiner Tochter. Nach einem Jahr bin ich auch wieder in Teilzeit arbeiten gegangen. Sogar in dem neuen Job mit den neuen Aufgaben, den ich ja eigentlich schon vor meiner Tochter machen wollte. Es klappte alles im Großen und Ganzen gut. Klar gab es auch mal Tage, an denen ich am Ende war, aber die positiven Tage haben überwogen.

Als meine Tochter ca 1,5 Jahre alt war kam der Wunsch nach einem zweiten Kind auf. Noch nie habe ich so eine Liebe empfunden und meine Tochter ist das Beste was mir je passiert ist. Das war letztes Jahr Spätsommer. Wir haben es wieder drauf ankommen lassen und drei Monate später war ich schwanger. Ich hatte zu dieser Zeit noch Therapie. Aber schon ein paar Wochen vor der Schwangerschaft merkte ich, dass ich nicht so stabil bin und die Ängste wieder stärker wurden. Meine Therapeutin und ich fanden heraus, dass es vermutlich der Druck mit dem Thema zweites Kind ist und die Sorge, die wieder überhand nahm. Sie sagte, man könne auch mit einem Kind glücklich sein und ich solle doch mal schauen was ich bisher schon geschafft hätte, etc. 2 Wochen nach diesem Gespräch war der Test positiv.

Erst war ich geschockt, aber gleichzeitig freute ich mich auch. Und dann ging alles wieder von vorne los. Angst, Panikattacken, ein Gedankenkarussell des Grauens. Konnte nicht mehr schlafen und musste sogar Tavor nehmen, weil ich vor Angst zerfressen war. Dann saß ich da, heulend vor meinem Mann und ich sagte immer wieder „ich schaff das nicht“. Das Thema „Schwangerschaftsabbruch“ stand im Raum und ich sah nur noch diesen einen Weg auß dieser Angstspirale rauszukommen. Ich habe direkt einen Termin bei ProFamilia gemacht und naja was soll ich sagen drei Tage später war der frühe Abbruch. Ich war wie im Trance.

Jeder der mir jetzt sagt was für ein Schwein ich sei, dem gebe ich Recht. Ich habe etwas ganz furchtbares gemacht und ich kann jeden verstehen, der mir die Pest an den Hals wünscht.

Drei Monate konnte ich das Erlebte ausblenden. Aber jetzt kommt alles hoch. Was bitte habe ich da getan? Was bin ich für ein schrecklicher Mensch, der ein so besonderes Geschenk wegmachen lässt? Der allerschlimmste Schmerz ist jedoch die Erkenntnis, dass meine Angst GEWONNEN hat. Sie hat gesiegt. Sie hat mich zu dem gebracht was ich mir in meinen schlechtesten Träumen niemals vorstellen konnte. Ich, die dachte so viel Liebe und Kraft für ein zweites Kind zu haben sitzt nun vor einem Scherbenhaufen. Von Schuldgefühlen zurecht zerfressen. Ich habe eine intakte Schwangerschaft abgebrochen. Warum haben wir uns keine Hilfe geholt? Bei meiner Tochter waren die Ängste am Anfang genauso schlimm. Und jetzt ist es das Schönste was ich habe. Warum hat mein Mann mich nicht bestärkt, dass wir es schaffen könnten? Ich habe so eine unfassbare Wut auf mich, auf meine Erkrankung. Und die Fragen und Vorwürfe hören nicht auf. Ich sitze jeden Tag vor dem Ultraschallbild und bin völlig fassungslos was ich da getan habe. Ich hätte es doch besser wissen müssen.

Ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen. In unserem Freundeskreis hagelt es jetzt überall die zweiten Kinder. Es ist der blanke Horror für mich. Auch hier wieder der Gedanke“jeder wuppt es irgendwie mit einem zweiten Kind nur du hast mal wieder Angst gehabt. Musstest eine Schwangerschaft abbrechen, weil du nicht Herr deiner Ängste geworden bist“. Wie erbärmlich.

Ich weiß tatsächlich nicht genau was ich mit dem Post bezwecken möchte. Vielleicht hat jemand etwas Ähnliches erlebt und kann mir ein paar Ratschläge geben wie man das jemals verarbeiten soll? Dass man zu seinen Ängsten aufblicken und sagen muss „ja du hast gewonnen“? Es ist eine Demütigung, aber trotzdem muss es ja irgendwie weitergehen.

Ich danke euch herzlich fürs Lesen.
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Marika
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Re: Schwangerschaftsabbruch

Beitrag von Marika »

Hallo Tami!

Ganz herzlich Willkommen hier bei uns und sei dir sicher: du bist hier in einem geschützten Raum in dem du alles schreiben kannst, was dir auf der Seele lastet. Lass dich mal fest in den Arm nehmen.

Liebes, du hast eine Entscheidung getroffen, die damals die einzig richtige für dich/euch war. Du siehst es heute, wo es dir besser geht anders. Aber damals war die Ausgangslage einfach eine komplett andere, die Erkrankung hat nichts anderes zugelassen. Aber egal was der Grund war, es war eine Entscheidung die du vor NIEMANDEM rechtfertigen musst. Keine Frau muss das. Wenn etwas "Schuld" hat, dann diese grausame Krankheit die dir schon so lange oft das Leben zur Hölle gemacht hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass wenn man in einem massiven Tief steckt, diese Entscheidung trifft. Da ich selber Ängste usw. sehr gut kenne, kann ich den Abbruch zu 100 % nachvollziehen.

Bist du noch in Therapie? Ich denke, da ist der richtige Ort das Thema anzugehen. Und ich bin mir sicher, dass du es dann auch verarbeiten wirst. Du warst akut krank damals, ich kann mir gut vorstellen, dass ich die selbe Entscheidung getroffen hätte.

Darf ich fragen, ob und was für Medikamente du aktuell nimmst?
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Nat86
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Re: Schwangerschaftsabbruch

Beitrag von Nat86 »

Liebe Tami,

Du bist garantiert kein Schwein und Niemand hat das Recht, Dich zu be- oder zu verurteilen. Ich bin sehr froh, dass wir uns einem Land leben, indem es die Möglichkeit gibt, eine Schwangerschaft abzubrechen. Niemand weiß wie es Dir und Euch als Familie ginge, wenn Du die Schwangerschaft fortgeführt hättest. Vielleicht wärst Du dieses Mal in eine tiefe Depression gestürzt und Eure Familie würde leiden. Wer weiß das schon. Der Abbruch ist durchgeführt. Es bringt nichts Dich dafür fertig zu machen. Du hast eine Krankheit, die verdammt besch…. ist. Du hast Dir diese garantiert nicht angesucht und Niemand hat das Recht, Dir zu sagen, was falsch und was richtig ist. Versuch das Thema mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten und höre bitte auf Dich selbst nieder zu machen.

Ich bin ganz ehrlich…. Würde ich trotz Verhütung schwanger werden, würde ich das Kind nicht behalten. Ich habe eine andere Geschichte als Du und hatte nach der Geburt eine schwere Wochenbettdepression. Sie ging ein Jahr und es war die absolute Hölle. Ich möchte das niemals wieder erleben. Ich bin wie Du unendlich froh und bereichert durch mein Kind, aber dieses Höllenjahr werde ich nie vergessen und ich werde keine weiteren Kinder bekommen.

LG,
Nat
Viele Grüße von Nat
Tami84
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Re: Schwangerschaftsabbruch

Beitrag von Tami84 »

Liebe Marika,
vielen Dank für deine Worte und dein Verständnis. Ich hatte tatsächlich kurz vor dem positiven Schwangerschaftstest Ende letzten Jahres meine letzte Therapiestunde bei meiner Therapeutin, die mich 7 Jahre lang begleitet hat. Der Zeitpunkt war, was das anbelangt, zwar nicht ideal, aber grundsätzlich gibt es keine Therapiegrund mehr für mich (außer vielleicht aktuelle bzw. akute Themen). Ich weiß nach 19 Jahren wo meine Probleme liegen. Bei mir hat sich über Jahre negatives Denken breitgemacht mit Horrorszenarien mit daraus resultierenden körperlichen Reaktionen wie Atemnot, Zittern, schlechtes Schlafen, nicht mehr so konzentrationsfähig, Appetitlosigkeit bis hin zu schlimmen Panikattacken und Alltag nicht mehr meistern können. Ich weiß zu was die Angst fähig ist bzw. ich weiß zu was unser Kopf fähig ist.

Das kuriose ist und dass ist wahrscheinlich auch der Grund warum es mir so schlecht geht, ich habe kurz vor dem positiven Schwangerschaftstest einen Coach gefunden, der mein Leben verändert hat. Kein Therapeut in den letzten Jahren hat das geschafft was er geschafft hat (und ich natürlich auch geschafft habe). Deswegen war der Schock groß, als alles wieder zurück kam und ich wieder Geisel meiner eigenen Angst war und ich mich nicht von diesen grausamen Gedanken abgrenzen konnte. Irgendwie dachte ich, ich sei schon weiter. Die Arbeit mit dem Coach war vermutlich einfach noch zu kurz und meine Gedanken noch zu mächtig.

Auch nach dem Abbruch und dem Tief Ende letzten Jahres geht es stetig bergauf (die Arbeit mit dem Coach trägt Früchte). Jedoch mit zunehmender Stabilität meiner Gesundheit werden die Schuldgefühle schlimmer. Irgendwie auch logisch, denn wenn es mir stetig schlecht gehen würde, dann würde ich denken, dass der Abbruch die absolut richtige Entscheidung war.

Aber da liegt wohl der Hund begraben. Jetzt wo es mir besser geht und ich den richtigen Therapieweg für mich gefunden habe, umso mehr kommen die Fragen "Warum hast du dir keine Hilfe geholt? Warum hast du nicht darauf vertraut, dass es wieder besser werden wird? Warum hast du die Angst wieder so mächtig werden lassen? Warum, Warum.......

In Wirklichkeit weiß aber keiner wie es verlaufen wäre. Ja es hätte wirklich gut werden können. Es hätte aber auch schlecht bleiben können und dann wäre die Schwangerschaft und das zweite Kind eine riesen Belastung gewesen. Leider kann man nicht in die Zukunft sehen.

Ich versuche zu akzeptieren, dass ich in diesem Moment so gehandelt habe wie ich gehandelt habe. Ich werde aber weiterhin an mir arbeiten, denn das bin ich der ganzen Situation schuldig. In der Hoffnung, dass ich irgendwann die Oberhand der Ängste habe und nie wieder vor solch einer Entscheidung stehen muss.

Kurz noch zu den Medikamenten. Ich nehme seit kurzer Zeit keine Medikamente mehr. Ich habe jahrelang Venlafaxin und zuletzt Fluoxetin genommen. Die Tabletten haben mir in meinem schlimmsten Zeiten den Hintern gerettet, aber sie verdecken nur die Probleme und lösen sie nicht. Es gibt auch mittlerweile viel zu viele Studien, die, wie ich finde, die Wirksamkeit zurecht in Frage stellen. Aber wie gesagt, das ist nur meine Sichtweise.

Liebe Grüße
Anne 861
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Re: Schwangerschaftsabbruch

Beitrag von Anne 861 »

Hallo tami ,wie geht es dir ?
Tami84
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Re: Schwangerschaftsabbruch

Beitrag von Tami84 »

Hallo Anne, danke der Nachfrage. Tatsächlich geht es mir gerade gar nicht gut. Wir sind im Urlaub und ich habe die ganze Zeit Angst mit entsprechend körperlichen Symptomen. Dass hat sich jetzt alles die letzte Zeit aufgebaut. Die letzten Wochen waren im Job sehr stressig und ich konnte schlecht runterfahren. Dann habe ich heute auf der Autofahrt so pervers schlimm meine Periode gehabt, dass ich richtig Angst hatte zu verbluten. Und zu guter letzt geht es meinem Partner nicht so gut und ich mache mir Sorgen. Irgendwie schaffe ich es gerade nicht, dass Gedankenkarussel zu unterbrechen. Und ich komme schlecht zur Ruhe, weil ich so angespannt bin.
Anne 861
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Re: Schwangerschaftsabbruch

Beitrag von Anne 861 »

Hallo tami ,konntest du den Urlaub etwas genießen und etwas runter fahren ? Liebe Grüße
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