Amélie - das bin ich und so geht's mir

Hier können sich unsere Mitglieder vorstellen

Moderator: Moderatoren

Antworten
amélie

Amélie - das bin ich und so geht's mir

Beitrag von amélie »

Hallo zusammen!

Ich bin 33 Jahre alt und seit 3 Monaten Mutter einer wunderbaren Tochter. Unser Baby, auf das wir vier Jahre gewartet haben (es klappte erst mit dem schwanger werden, als wir es aufgegeben hatten), ist sehr süß, hübsch, aufgeweckt, lieb und relativ pflegeleicht.

Ich hatte schon in der Schwangerschaft einen Monat, ca. den 6. Schwangerschaftsmonat, in dem es mir gar nicht gut ging. Wir waren damals in unserem letzten Urlaub zu zweit, alles passte - Frühling, Sonne, Strand, eine tolle Finca auf Mallorca - und ich heulte die ganze Woche lang. Alles erschien mir sinnlos. Wozu schöne Landschaft, was gibt mir die Sonne auf der Haut, warum gut essen gehen, warum auf das Baby freuen?

Als ich wieder da war, half mir ein guter Freund durch einige lange Telefonate. Er munterte mich vorsichtig (!) auf, hatte Verständnis und langsam wurde es besser.

Der Rest der Schwangerschaft war toll, ich habe diese Zeit sehr genossen.

Dann kam mein Baby - eine zunächst spontan ablaufende Geburt, die dann in einem Notkaiserschnitt endete. Das war aber okay für mich, denn das Ergebnis war überwältigend! Die Woche in der Klinik verging schnell, es klappte dann auch mit dem Stillen und bis auf den üblichen Heultag (ca. der 3. Tag nach der Geburt) ging es mir gut.

Als mein Mann nach 3 Wochen wieder arbeiten ging, bekam ich kurz die Krise, aber dann gewöhnte ich mich schnell an das Leben mit Baby und fand auch Gefallen daran.

Aber jetzt, 3 Monate später, ist alles anders! Ich bin in ein tiefes Loch gefallen und weiß gar nicht genau, warum. Mein Job fehlt mir gar nicht so sehr, ich habe Freundinnen, die ich oft sehe und die auch Babys haben, ich langweile mich nicht und meine Kleine macht mir viel Freude. Aber sie ist das Einzige, was mir Freude macht. Alles andere berührt mich nicht mehr. Ich vermisse meinen guten Freund (er kam wohl auf Dauer nicht so ganz klar mit mir und zog sich zurück), ich vermisse mein altes Leben - nein, eigentlich nicht das Leben ohne Kind, sondern seine Leichtigkeit. Nichts ist mehr leicht, ich fühle mich momentan wie eine alte Frau am Ende ihres Lebens, ohne Träume, ohne Pläne, ohne Hoffnung.

Ich bin nicht suizidgefährdet, denke aber oft daran, wie "schön" es doch wäre, wenn ich verunglücken würde und alles vorbei wäre. Meine Tochter wäre bei meinem Mann gut aufgehoben und würde mich nicht vermissen, nicht in ihrem jungen Alter. Sie würde sich später nicht mal mehr an mich erinnern.

Morgens ist es besonders schlimm, es kostet mich furchtbar viel Anstrengung, aufzustehen, und ich kann mich nur über mein Kind motivieren.

Depressionen an sich sind mir nicht neu - seit ich ca. 20 bin, habe ich immer wieder mit ihnen zu kämpfen, und in meiner Familie gibt es ein paar (schwerere) Fälle davon. Allerdings sind die depressiven Phasen bisher immer nach ein paar Wochen von selbst wieder vorbeigegangen.

Jetzt aber trage ich Verantwortung und möchte etwas gegen meine Hoffnungslosigkeit tun.

Ansonsten gibt es noch über mich zu sagen, dass ich sehr perfektionistisch bin und selbst als Kind in einem eher kühlen Umfeld aufwuchs. Ich hatte alles, aber ich wurde nur gegen Leistung geliebt. Damit habe ich heute noch zu kämpfen - mir fehlt ein tiefes Urvertrauen, mein Selbstbewusstsein ist gering, obwohl ich viel erreicht habe, erfolgreich bin, beliebt, ganz attraktiv und so weiter. Aber ich denke immer, dass sich die anderen Menschen in mir täuschen, und auch bei meinem Mann denke ich, dass er irgendwann aufwachen und erkennen wird, dass er mich doch nicht liebt ...

Danke fürs Lesen.

Amélie
Geli
power user
Beiträge: 899
Registriert: 02:03:2008 9:52
Wohnort: NRW

Beitrag von Geli »

Hallo Améli,

ganz herzlich willkommen hier im Forum. Hier sind ganz viele Frauen, die sich sicherlich auch bei manchem von dir Geschriebenen wiederfinden.

Du schreibst auch, dass du schon lange Depressionen kennst. Hast du da schon mal eine Therapie gemacht? Hast du einen guten Therapeuten? Aufgrund deiner starken Probleme solltest du dich auf jeden Fall deinem Arzt anvertrauen. Kannst du dazu noch berichten.

Ich selbst habe damals vor fast 8 Jahren auch voller Selbstzweifel gesteckt. Obwohl mein Umfeld stimmte: Freundinnen, Babygruppen usw. Trotzdem war ich wie leer. Und die plötzlich so große Verantwortung war soooooo grooooooß. Ich habe damals durch Gespräche mit Psychotherapeut, Mutter-Kind-Kur und Gesprächen mit Frauen aus der Selbsthilfegruppe von Schatten und Licht wieder zu mir gefunden.

Ich war schon immer sehr nachdenklich und sensibel. Depressionen kenne ich auch schon aus Zeiten vor der Schwangerschaft. Mein Frauenarzt sagte damals zu mir, dass ich wahrscheinlich Probleme hätte, schwanger zu werden. Nun ja, habe ich gedacht, wenn es dann so sein soll - ist wahrscheinlich auch besser so. So wie ich mich manchmal fühle, werde ich bestimmt auch Probleme mit dem Leben mit einem Kind haben. So fand ich es nicht schlimm, NICHT schwanger zu werden. Aber ich dachte: wenn - dann ab jetzt. Und ich oder wir sind dann ganz locker rangegangen. So locker, dass ich dann auch sofort schwanger wurde. 4 Wochen Urlaub sind ja auch eine lange Erholungszeit. Und ab da ging bei mir schon das Gedankenkarusell in Gange. Und als dann der Kleine da war noch mehr. Aber ich habe gemerkt, dass ich das sehr wohl kann. Langsam habe ich an Selbstvertrauen gewonnen und habe seitdem mehr zu mir selbst gefunden als früher.

Auf der Hauptseite des Vereins findest du unter den Rubriken "Fachleuten" Therapeutenlisten und unter "Selbsthilfegruppen" auch Gruppen vielleicht in deiner Nähe. Ein Anruf lohnt auf jeden Fall. Ich wünsche dir ganz viel Kraft und viel Austausch hier bei Frauen, die dich verstehen.
Lieben Gruß von mir

* Auszeit als Ausgleich - fühlen, was tut mir gut *
Irisches Segenswort:
"Mögen gute Tage deinen Weg begleiten, freundliche Menschen dir begegnen, und die Sehnsucht führe dich zum Ziel."
-----------------------
PPD: 2001
Schilddrüsen-Hormon (nie die Präparatfirmen wechseln!)
Gesprächstherapie
Mutter-Vater-Kind-Kur
_________
2014: Depression, Medikament Opipramol, seit 07/15: Escitalopram
amélie

Beitrag von amélie »

Hallo Geli,

danke für Deine Antwort.
Du schreibst auch, dass du schon lange Depressionen kennst. Hast du da schon mal eine Therapie gemacht? Hast du einen guten Therapeuten? Aufgrund deiner starken Probleme solltest du dich auf jeden Fall deinem Arzt anvertrauen. Kannst du dazu noch berichten.
Nein, ich habe noch nie eine Therapie gemacht. Allerdings schon mehrere Anläufe. Allerdings sind in der Großstadt, in der ich lebe, die Wartezeiten extrem lang (mind. 3 Monate), und zudem habe ich zwei schlechte Erfahrungen gemacht. Ein Psychotherapeut, bei dem ich in einer sehr schlimmen Zeit mal anrief, war total unfreundlich zu mir und sagte, ich müsse sowieso erst zum Hausarzt und mich dann überweisen lassen, ich solle mich wieder melden, wenn ich das erledigt hätte. Und als ich dann - ein Jahr später, wieder in einer depressiven Phase - bei einer Allgemeinärztin war, kam ich mir auf einmal so blöd vor, ihr von meinen Depressionen zu erzählen. Ich saß da, machte den Mund auf - und erzählte ihr was von Migräne (die ich auch wirklich öfter hatte). Kein Wort über die Psyche.

Jetzt habe ich eine Therapeutin rausgesucht (über diese Seite hier) und sie auch angeschrieben, aber ich soll sie anrufen und mir fehlt einfach der Mut dazu. Seit vier Tagen greife ich täglich zum Hörer, bin dann froh, wenn besetzt ist und lege erleichtert wieder auf. :( Ich schäme mich so dafür, nicht "normal" zu sein und ich merke, wie schlimm das für mich ist, evtl. eine Psychotherapie zu brauchen. Vor meinen Eltern müsste ich diese sowieso auf jeden Fall verheimlichen. Und auch mein Mann findet, dass diese Maßnahme übertrieben sei ... :(

Ich habe doch alles. Job, Erfolg, Geld, einen tollen Mann, Freunde, ein süßes Baby, Talente, einfach alles, wovon viele Leute nur träumen können. Und ich fühle mich so unfähig und undankbar, weil ich trotzdem nicht glücklich bin.

Ich glaube nicht, dass mich aus meinem Freundeskreis irgendjemand versteht. Wie geschrieben - mein guter Freund ist schon "abgesprungen", weil er einfach nicht verstehen kann, dass ich unglücklich bin, wo ich doch wie gesagt alles habe! Und ich verstehe ihn sogar.

Liebe Grüße
Amélie
costasmama

Hallo Amélie,

Beitrag von costasmama »

unglaublich ich kann mich in allem was du erzählst wiederfinden, fast unheimlich ist das...! Außer das Geburtserlebnis, das war bei mir anders, aber alles andere wie du es beschreibst das könnte ich geschrieben haben. Dein Verhältnis zum Kind und auch diese Trotslosigkeit, das Interesse an anderen Dingen das du verloren hast. Und auch die Probleme mit dem Aufstehen und dass dich nur dein Kind dazu motiviert... genau so geht es mir auch!!!! Ich habe auch genug soziale Kontakte, hab eine nette Familie, nette Freundinnen, einen liebevollen Mann ABER ich fühle mich oft allein und hatte auch schon so den Gedanken dass es doch so "praktisch" und "leicht" wäre wenn ich nicht mehr da wäre. Ich bin auch überhaupt nicht suizidgefährdet, aber der Gedanke kam trotzdem mal... Auch in deinen Aussagen über das Selbstbewusstsein finde ich mich wieder. Denke mir in schlechten Phasen auch oft, dass mein Mann mich dann plötzlich verlässt, weil er mich nicht mehr liebt und lauter so Mist. Mein Elternhaus na ja, war nicht grad so kühl aber auch relativ schwierig. Meine große Schwester war immer der Liebling meiner Mama und alles was ich gemacht habe war Mist. Ich habe mir oft von ihr anhören müssen "Wärst du doch bloß wie deine Schwester" und auch so Sachen wie "Du bist echt so unmöglich, du kannst nicht von mir sein". Wenn man das über ein paar Jahre hinweg hört, dann hat es seine Wirkung. Bei mir eben in Form eines sehr schlechten Selbstwertgefühls und auch (wie bei dir) einer total übertriebenen Perfektion, der ich nie und nimmer gerecht werden kann...

Ich wünsch dir auf jeden Fall ganz viel Kraft! Mein Sohn ist jetzt 4,5 Monate alt und ich bin auch erst vor kurzem in dieses tiefe Loch gefallen. War gestern beim Arzt welcher mich an einen Psychotherapeuten überwiesen hat. Außerdem nehme ich momentan ein homöopathisches Komplexmittel gegen meinen Zustand, warte aber noch dass die ´Wirkung voll einsetzt...

Lg Miriam
Geli
power user
Beiträge: 899
Registriert: 02:03:2008 9:52
Wohnort: NRW

Beitrag von Geli »

Hallo

aber das ist ja gerade die Depression. Es ist eine Krankheit. Und das man dann nicht realistisch denken kann, ist doch auch die Depression. Da zählt einfach nicht, wie gut man es doch eigentlich hat. Man kann da wirklich alles haben. Das hatte ich auch. Und trotzdem fühlt man sich nicht.

Bitte teilt euch euren Ärzten mit - und Amélie (ich kann dich verstehen) ruf immer wieder bei dem Psychologen an. Mir ging es genauso. Aber es ist wie ein Gespinnst, das aufgelöst werden muss. Und dazu braucht man Hilfe. Das kann man sich zu Anfang nicht selbst durch logisches Nachdenken lösen. Dazu braucht man einfach einen guten Therapeuten. Evtl. auch mit Medikamenten und Gesprächstherapie. Und gerade nach der Geburt passieren so viele neue Dinge im Leben. Auch hormonell gerät manches aus dem Ruder und das beeinflusst auch die Psyche - sprich auch den Stoffwechsel im Gehirn, den Hormonhaushalt allgemein. Und dazu muss man sich wirklich ehrlich bei seinem Arzt äußern.

Ich kenne das, dass man dann komisch angesehen wird - von wegen, es müsse einem doch gut gehen. Man hätte doch alles. usw.

Gibt es bei dir eine Selbsthilfegruppe in der Nähe. Du sagst, du wohnst in einer größeren Stadt. Ruf auch evtl. das Kontakttelefon von Schatten und Licht an. Dort werden dir - falls niemand im Büro ist - Kontakte von Beraterinnen angesagt. Vertrau dich ihnen an. Sie werden dir helfen, damit du deine Unsicherheit verlierst und auch ein Stück Angst und damit du dich auf den Weg machen kannst.

Es gibt in Frankfurt in der Mutter-Kind-Einrichtung eine 24h-Beratungs-Hotline, wo sich ein Arzt meldet. Ihnen kannst du deine Sorgen und Ängste mitteilen. Sie verstehen dich auf jeden Fall, da sie sich speziell mit dem Thema Postpartale Depression auseinandersetzen. Die Klinik ist auch speziell nur für diese Mütter, wo sie mit Baby aufgenommen werden können. Bei der Beratung geht es aber nicht um Klinikaufnahme, sondern nur um dein Befinden. Dort erntest du kein Kopfschütteln. Sie vermitteln dir auch einen Therapeuten und würden sogar dort anrufen, um Druck zu machen. Hier ist der Link mit der Tel-Nr.:
http://www.wochenbettdepression-hotline.de/

Auch wegen deiner Mutter - das kenne ich. Ich habe das auch nicht sagen wollen und mir auch schon gar nicht bei anderen anmerken lassen wollen. Das ist so verdammt schwierig. Im Nachhinein kann ich sagen, dass das alles nur noch schlimmer gemacht hat. Erst als ich Hilfe angenommen habe, eine Mutter-Kind-Kur gemacht habe, gute Gespräche hatte, konnte ich mich eher mitteilen.

Du wirst das schaffen. Ich weiß, es ist schwierig. Aber du bist nicht allein und schon gar nicht wehleidig, blöd oder ähnliches. Es ist eine Krankheit. Ruf an, sprich es an, so als ob du dir ein Bein gebrochen hättest.
Lieben Gruß von mir

* Auszeit als Ausgleich - fühlen, was tut mir gut *
Irisches Segenswort:
"Mögen gute Tage deinen Weg begleiten, freundliche Menschen dir begegnen, und die Sehnsucht führe dich zum Ziel."
-----------------------
PPD: 2001
Schilddrüsen-Hormon (nie die Präparatfirmen wechseln!)
Gesprächstherapie
Mutter-Vater-Kind-Kur
_________
2014: Depression, Medikament Opipramol, seit 07/15: Escitalopram
Antworten