Ich kann meine Kinder nicht lieben

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Skylie

Ich kann meine Kinder nicht lieben

Beitrag von Skylie »

Ich bin fast 30 und seit 2013 mit meinem aktuellen Partner zusammen, unverheiratet. Ich stamme aus sogenannten schwierigen Verhältnissen und bin ein sensibler Mensch, der schnell aus der Bahn geworfen wird.
Im Herbst 2014 wurde ich ungeplant schwanger, wollte das Kind nicht, aber Abtreibung war mir aus vielerlei Gründen nicht möglich. Emotionale Gründe dagegen gab es meinerseits nicht. So habe ich das Baby bekommen, sie kam 9 Wochen zu früh, war ein Schreibaby. Ich ohne Familie oder Freunde, mein Partner stand kurz vor Ende seines Studiums, ein ungewolltes Kind - meine Welt stand Kopf. Ich war nicht bereit, Mutter zu werden. Absolut nicht. Auch habe ich mich weder während der Schwangerschaft noch nach der Geburt über sie gefreut. Ich habe sie nicht offen abgelehnt, wusste aber mit ihr nichts anzufangen. Geliebt habe ich sie nicht. Der Alltag war so anstrengend, und ich denke, ohne Liebe, die einen für die Strapazen entlohnt, ist es noch schlimmer. Trotzdem wurde ich ihren Bedürfnissen soweit ich konnte gerecht. Ich begann zu funktionieren, konnte nur die physischen Bedürfnisse befriedigen, habe so gut wie nie mit ihr gesprochen, sie nie angelächelt, war froh, wenn sie schlief und gestresst, wenn sie aufwachte. Sie hatte mit 9 Monaten noch nie gelacht oder gelächelt, lag in der Entwicklung weit zurück, auch wegen der Frühgeburt, aber eben auch wegen emotionaler Vernachlässigung. Ich habe stumm um Hilfe geschrien, ich hätte mit einem Megafon schreien können, doch es hätte niemand verstanden, was mir fehlte. Mir tat meine Tochter leid. Auch wenn ich sie nicht lieben konnte, so war sie mir nicht egal. So wandte ich mich ans Jugendamt in der Hoffnung, dass man mir dort helfen konnte, mir Adressen nennen konnte, was auch immer. Ich bekam eine Familienhilfe.
Je älter meine Tochter wurde, desto mehr fand ich einen Zugang zu ihr. Sie wurde mobil und begann zu sprechen, weinte weniger, phasenweise aber extrem viel, klammerte stark an mir. Am schlimmsten waren die Abende, denn sie schlief nie ein, egal zu welcher Uhrzeit. Es dauerte immer so lange, bis ich vor Erschöpfung selbst eingeschlafen war. Ich dachte, das würde sich im Lauf der Zeit legen.
Als sie 15 Monate alt war, hatte ich eine kurze Hochphase, in der ich unbedingt ein zweites Kind wollte, um mir zu beweisen, dass ich doch eine gute Mutter sein kann, um die verpasste Entwicklung meiner Tochter nachzuholen, und weil ich mir ein Geschwister für sie wünschte, welches in ähnlichem Alter war. Ich wurde schnell schwanger, aber die Freude darüber währte nicht lange. Ich zwang mich, die Entscheidung nicht zu bereuen. Ich dachte, wenn das Baby erst einmal da ist, wird schon alles gut.
Die Schwangerschaft war wegen starker Symphysenschmerzen ab der 8. SSW nicht sehr angenehm, da ich auch viel laufen musste, meine Tochter lief noch nicht zuverlässig, sodass ich sie ständig tragen musste, 3 Stockwerke hoch und runter, mehrmals täglich. Die Geburt war aber sehr schön. Es war eine Einleitung, da sie übertragen war, mit heftigen Wehen, die ich mühelos veratmen konnte, eine natürliche Geburt im Krankenhaus mit freundlichen Hebammen. Keine Hektik, kein Stress. Aber auf das Baby freute ich mich bis dato schon lange nicht mehr. Hatte während der Schwangerschaft schon manchmal an Adoption gedacht. Verwarf diesen Gedanken aber, weil ich dachte, die Liebe zum Kind kommt schon bei der Geburt, so wie die meisten Frauen es berichten. Tja, aber da war nichts. Sie wurde mir auf Wunsch direkt angelegt, ich wollte unbedingt stillen, tat alles, um die Bindung zu fördern. Nur eben dieser entscheidende Faktor Liebe fehlte. Sie war ein sehr einfaches Baby, schlief viel, schrie wenig, beruhigte sich schnell. Aber die große Schwester, mittlerweile zwei Jahre alt, war nach wie vor schwierig. Sie war ein eher ruhiges, sensibles Kind, sehr intelligent und leider immer noch äußerst aufmerksamkeitsbedürftig. Leider ließ sich das nun mit einem weiteren Baby nicht mehr vereinbaren. Die Große brauchte nach wie vor bis zu 3 Stunden, mindestens 2 Stunden zum Einschlafen, wachte nachts häufiger auf als die Kleine und weinte sehr viel. Ich ließ ihr sehr viel Aufmerksamkeit zukommen, da die Kleine mich selten brauchte und viel schlief, aber abends ging es einfach nicht, dass ich drei Stunden Einschlafbegleitung spielen muss (mit permanenter Anwesenheit und Handhalten), während die Kleine abends nur während eines langen Spazierganges einschlafen konnte. Im Stillen schlief sie nicht ein, und die Große und die Kleine hielten sich durch Weinen gegenseitig wach. Tagsüber ging die Große zur Tagesmutter, aber diese war relativ weit weg, ich habe kein Auto und kam nur mit dem Bus dorthin, musste umsteigen, und auf dem Weg gab es täglich neue Baustellen, die Busumleitungen mit sich brachten. Mal verpasste ich den Anschluss, mal wusste ich nicht, ob überhaupt ein Bus fahren wird. Ich kam fast täglich zu spät zur TaMu und schämte mich dafür. Der Busweg, der eigentlich planmäßig 30 Minuten dauern sollte, dauerte regelmäßig über zwei Stunden, weshalb ich die Kleine mitnehmen musste, da ich ja voll stillte. Die Große war aber immer so schwer bei Laune zu halten bei so langer Wartezeit, wo sie doch müde war und nach Hause wollte. An manchen Tagen wäre ich am liebsten garnicht zur TaMu gegangen, aber dort schlief sie wenigstens zu Mittag, was sie bei uns nie tat, trotz großer Müdigkeit. Bei uns ist Schlaf ein unerklärliches extremes Problem. Anderswo schläft sie vorbildlich, nur bei uns ging es noch nie, seit ihrer Geburt nicht. An vielen Tagen schlief sie kaum 5 Stunden inklusive Mittagsschlaf, und entsprechend anstrengend war sie. Achja ganz wichtig zu erwähnen: Die Große konnte ich endlich annehmen und lernte sie zu lieben, als sie ca. 18 Monate alt war. Es war ein langer Prozess, unsere Bindung ist stark, aber ich denke, ihre kindliche Seele hat Narben davon getragen... ich mache mir große Vorwürfe dafür.
Weil ich die ganze Situation nicht mehr aushielt und ich merkte, dass meine Kinder ebenfalls leiden, gab ich sie unter Absprache mit dem Jugendamt freiwillig in eine Pflegefamilie - zu meinen Eltern, die sich dazu bereit erklärten, zu denen ich jedoch ein schlechtes persönliches Verhältnis habe. Dort geht es ihnen nachweislich besser, auch weil meine Eltern einfach den nötigen Platz, sowie die nötigen finanziellen Mittel haben, um den Alltag so leicht wie möglich zu machen. Im Gegensatz zu uns, die wir in einer 2 1/2 Raum Wohnung mit 50m² vom Amt leben. Wir haben sehr wenig Platz und daher viel Unordnung, uns fehlt das Geld, um Stauraum zu besorgen. Selbst wenn wir es so ordentlich wie nur möglich halten, sieht es hier schäbig und chaotisch aus. Wir fühlen uns sehr unwohl hier.
So, und aktuell bin ich wieder schwanger, es war eine totale Überraschung, da ich eigentlich mit der Kupferspirale verhütete, die als sehr, sehr sicher gilt - aber das Ding war unbemerkt abgestoßen worden. Angesichts der gesamten Situation und der Vorgeschichte, die bis dato kaum einige Monate her war, waren mein Partner und ich uns einig, dass wir das Kind nicht behalten werden. Zu dem Termin zur Beratung ging ich aber nicht, weil ich lächerlicherweise verschlafen hatte. Dann kam so vieles auf einmal, die Weihnachtsfeiertage, Silvester, Neujahr, und ich wusste, dass die Zeit für eine Abtreibung fast abgelaufen war. Irgendwie konnte ich mich nicht dazu durchringen, einen neuen Termin zu machen, auch weil es hieß, dass kurz vor den Feiertagen keine Termine mehr frei seien. Dann kam mir der Gedanke: Meine große Tochter durfte leben, obwohl ich sie nicht wollte, obwohl alle Lebensumstände gegen ein Kind gesprochen haben. Und heute bereue ich es keinen Moment, wenn ich sehe, was für ein wunderbares Mädchen sie geworden ist und wie sehr sie mich liebt und ich sie. Warum sollte ich mich beim ersten Mal für A entscheiden und nun für B?
Ich habe ja stets irgendwo die Hoffnung, dass ich den Grund für die fehlende Liebe zu meinen Babys erfahre und verarbeiten kann, was mir möglicherweise selbst gefehlt hat. Dazu ist es hilfreich, dass ich jetzt in drei Tagen endlich eine stationäre Psychotherapie beginnen werde. Auch habe ich in Kürze einen Termin beim Jugendamt, wo ich meine aktuelle Schwangerschaft verkünden werde und auf gemeinsame Lösungen hoffe. Zum Beispiel ein Elternkurs oder eine ambulante Familienhilfe, die wirklich täglich für mehrere Stunden kommt und mich so unterstützt, wie sich eine Mutter das eben oft wünscht. Und sei es manchmal nur mit einem offenen Ohr, das einem gerade dann fehlt, wenn man weder Familie noch Freunde hat, und der Partner allein beim Wort "Problem" schon verachtend die Augen verdreht. Er liebt seine Kinder übrigens, keine Frage - aber er ist kein verantwortungsvoller Vater, das muss ich leider sagen. Er ist selbst noch ein Kind und noch dazu hochsensibel. Mit ihm ist es oft mehr Stress als ohne ihn.
Ich bin jetzt in der 15. Schwangerschaftswoche, bislang kommen keine Glücksgefühle auf, genau wie in den vorigen Schwangerschaften. Es hat bisher auch weder ein bekanntes Geschlecht noch Namensideen. Mein Partner hat vor Freude gestrahlt, als er den Krümel im Ultraschall gesehen hat, ich war mal wieder "typisch ich" und habe das Gesehene rational analysiert und kommentiert, als sei es nicht mein Baby in meinem Körper, sondern ich war die Ärztin, die eine andere Frau untersuchte.
Ich liebe bis heute meine zweite Tochter nicht, da ich sie auch beinahe nie sehe, wird es sehr schwer werden, das zu ändern. Mit Babys kann ich irgendwie nichts anfangen, ich mag sie nicht, sie sind hässlich und können nichts - mal so ganz herzlos ausgedrückt. Deswegen will ich sie auch nicht bei mir haben. Die Große sehe ich jedes zweite Wochenende, die Kleine habe ich zuletzt Ende Dezember und davor Anfang Oktober zuletzt gesehen. Sie ist jetzt 8 Monate alt. Meine Hoffnung ist, dass die Liebe mit der Zeit kommt, je älter sie wird. Schließlich konnte ich auch zur Großen in dem Alter noch keinen Bezug aufbauen und heute ist sie mein Ein und Alles. Vielleicht wird sie aber nicht kommen, da, selbst wenn ich jedes zweite Wochenende sehen würde, der Bezug nie so stark werden könnte. Der Kontakt wäre zu selten. Irgendwie ist es mir auch relativ egal, ob ich einen Bezug zu ihr finden werde oder nicht. Wie kann eine Mutter zu so einer Haltung gegenüber ihren Kindern eigentlich fähig sein?
Ich wünsche mir so sehr, dass ich einmal diese unendliche, bedingungslose Liebe zu ihnen empfinden kann. Ich weiß nicht, warum ich sie nicht empfinde. Ich bin ein Monster. Meine Kinder müssen so sehr darunter leiden, dass es das Beste war, sie wegzugeben.
Die Befürchtung liegt nahe, dass ich auch das dritte Baby nicht annehmen und lieben kann, es möglicherweise auch in Pflege geben muss, und das Ganze hat möglicherweise nicht mal etwas mit Depression zu tun. Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr mittelgradig bis schwer depressiv, aber nicht durchgehend. Auch in nicht-depressiven Phasen spüre ich keine Liebe zum zweiten und dritten Baby.
Durch die Depression ist meine Stresstoleranz allerdings sehr niedrig, weshalb ich sehr, sehr schnell überfordert bin. Meinen eigenen Alltag ohne Kinder bekomme ich auch nie ohne kräftigen Schubs von außen (pädagogische Betreuung) hin, weil es teilweise schon am Aufstehen scheitert.
Für meine Kinder ist es eigentlich am besten, wenn sie nicht bei mir aufwachsen, aber Kontakt halten. Ich weiß nur nicht, ob ich so leben möchte auf Dauer. Es belastet mich, dass ich durch meine Kinder auf Ewig einen Zwangskontakt zu meinen Eltern habe, aber in eine fremde Familie wollte ich sie nicht geben.
Mist, ich wollte mich eigentlich sehr kurz fassen, aber ich habe schon wieder einen Roman geschrieben... sorry dafür. Es musste einfach raus, wo, wenn nicht hier?
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