Erwartungen

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Tribunus

Erwartungen

Beitrag von Tribunus »

Hallo ihr Lieben,

gerade komme ich von einem Termin mit meiner Psychiaterin. Ich habe ihr davon berichtet, dass es mir schon viel besser geht, weil ich die meiste Zeit des Tages in meinem Leben völlig normal und stabil bin. Es gibt aber Phasen in denen ich nach wie vor ins Grübeln komme und mich frage, ob ich gesund bin oder nicht. Dann kommen auch wieder komische Gedanken, dass ich jemanden mein Telefon an den Kopf schmeißen könnte. Auf meine Frage hin, ob das auch noch verschwinden würde, sagte sie mir "wahrscheinlich" so etwas will man natürlich nicht hören. Man will hören, dass es ganz sicher bald vorüber sein wird. Und wenn nicht könne man damit auch sehr gut leben, weil es nur einen kleinen Teil einer Persönlichkeit ausmache. Ich habe die Erwartung, dass ich mich völlig gesund fühlen will. Wie geht ihr mit euren Erwartungen um? Was kann man erwarten? Muss man sich auch eingestehen, dass etwas übrig bleiben kann?
Einen schönen stabilen Tag wünsche ich euch!
lotte

Re: Erwartungen

Beitrag von lotte »

Hey Du,

erstmal: toll, dass es Dir so gut geht ;)

Und ja, es ist völlig "normal", dass Du ab und zu auch mal komische Gedanken hast. Was denkst Du, was "gesunden" Menschen so in den Kopf kommt bzw. sind die jeden Tag nur voller guter Gefühle? Nein.

In dieser Hinsicht sind Deine Erwartungen also zu hoch, von wegen; Du möchtest am besten NIE mehr komisches Zeug denken, Ängste haben. Das macht auch einen Teil deiner Persönlichkeit aus (je nachdem, was Du in Bezug auf Ängste früher erlebt hast) und den gilt es, anzunehmen. Sicher sind wir, die wir eine solche Krankheit entwickelt haben, anfälliger für "negatives Denken"; Fakt ist aber auch, es gehört zum Leben dazu.

Die Herausforderung besteht also im "Annehmen" statt einen zu hohen Erwartungsdruck aufzubauen von wegen, das müsse alles verschwinden und nie mehr wiederkommen. In Zeiten von Stress kann es durchaus passieren, dass man wieder vermehrt grübelt. Da ist es besser, man weiss das, als wenn man versucht, dass mit allen Mitteln zu unterdrücken. Geht sowieso nicht ;)

Und ehrlich: was ist so schlimm an dem Gedanken, jemand ein Telefon an den Kopf werfen zu wollen? ;)
Ich könnte manchmal auch meinen Nachbarn in den Hintern treten.

LGL
Sanna
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Re: Erwartungen

Beitrag von Sanna »

Hallo!

Weißt du, mich haben solche Aussagen auch immer verunsichert. Wenn man so drin steckt, will man einfach nur das "es" weg geht. Für immer und ewig. Mitllerweile sehe ich das anders.

Ich fühle mich zu 98% gesund. Ja, zwei Prozent fehlen. Ich glaube auch, dass ich damit für den Rest meines Lebens klarkommen muss. Ein bisschen was von der Unruhe und dem Grübelzwang wird mir bleiben. Das macht aber nichts, denn mein Leben ist absolut LEBENSWERT und nur darauf kommt es an.

Ich glaube, dass viele Kranke etwas von ihrer Erkrankung zurück behalten. Meine Schwiegermutter hat schlimm Rheuma und nach jedem Schub behält sie was zurück. Jemand der häufig Migräne hat, ist auch oft nicht bei 100%. Also warum sollte das bei uns so sein?

Freu dich, dass du so stabil bist. Genieße jede Sekunde in der du keine blöden Gedanken hast und wenn sie doch kommen, nimm sie an und lass sie weiterziehen. Weißt du, es sind nur Gedanken, die tun in der Regel nix schlimmes.

LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
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Marika
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Re: Erwartungen

Beitrag von Marika »

Hallo,

kann mich den beiden nur anschließen. Es geht im übrigen nicht darum, keine solche Gedanken mehr zu haben, nur die Angst und evlt. der Zwang dahinter - die 2 kann man loswerden. Die Gedanken aber sind völlig normal und dürfen ruhig bleiben. Die hat jeder weil es in der menschl. Natur liegt "Schmarren" zu denken. :wink: :lol: Es geht also nicht um die Gedankeninhalte, es geht um die HALTUNG ihnen gegenüber. :idea: Wenn man das so richtig begreift, dann befreit das unendlich viel von diesem Erwartungsdruck.

Ich fühle mich heute zu 100 % gesund - aber: Ich werde wohl immer eine kleine Dosis AD dazu brauchen. Das ist mein persönlicher Teil, der bleiben wird. Ich habe das schon vor längerer Zeit akzeptiert und bin einfach nur Dankbar, toll PPD ein tolles Leben führen zu können. 8)
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Tribunus

Re: Erwartungen

Beitrag von Tribunus »

Vielen lieben Dank für Eure Ratschläge. Ich könnte mit 98 Prozent gesund fühlen sehr gut leben, da ich kleinere Macken sehr menschlich und symphatisch finde. Leider fühle ich mich aber erst bei 70 Prozent :x
Auch wenn ich mein Leben lang medikamente nehmen müsste, hätte ich kein Problem damit, hauptsache ich könnte mich wieder auf das wichtige im Leben konzentrieren und das ist meine Familie und meine Freunde.
Ich finde diese komischen Gedanken auch gar nicht so schlimm. Es ist wie Marika sagt, dass ich die Angst und den Zwang gerne loswerden würde, dann wäre alles wieder gut. Ich werde an mir weiter arbeiten und versuchen geduldig zu sein. Ich bin jetzt nur mit den Medikamenten an der höchsten Dosis angekommen laut meiner Ärztin und leider noch nicht ganz stabil.... am Ende wird alles gut und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht am Ende :wink:
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Marika
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Re: Erwartungen

Beitrag von Marika »

Meine Süße,

ich habe 2,5 JAHRE gebraucht, bis ich den Zwang endlich in seine Schranken verwiesen hatte. In der Zeit hatte ich ebenfalls die Höchstdosis Escitalopram (sogar darüber, nämlich 30 mg). Das AD ist EINE wichtige Stütze, aber ganz wichtig ist und bleibt: üben, üben, üben!!!! Ich musste lernen den Zwang "zu verlernen" und das braucht in der Tat viel Geduld und Konsequenz!

Insofern bist du erst "kurz" daran jetzt seit März. Das wird noch viel, viel, viel besser - nur immer weiter üben, darüber lesen und sich selber auch weiterbilden in der (Zwangs-)Materie.
Liebe Grüße von
Marika

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Tribunus

Re: Erwartungen

Beitrag von Tribunus »

Danke Dir, liebe Marika. Ich war auf so einem guten Weg und dann löst so ein kleiner Satz meiner Psychiaterin so ein Tief in mir aus. Ich bin in der Tat hoffentlich noch lange nicht am Ziel. Mir geht manchmal nur ein wenig die Kraft aus. Das mit dem Üben würde ich ja gerne noch mehr aber außer die Gedanken zu akzeptieren und sie beiseite zu schieben kann ich doch nicht machen, oder?
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Marika
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Re: Erwartungen

Beitrag von Marika »

Es gibt etliche Übungen, die ich in meiner Therapie gelernt habe. Auch wenn du Bücher zum Thema ließt, gibt's da immer wieder so Übungsabschnitte. Gerade in einer Verhaltenstherapie werden einem solche Sachen auch beigebracht.

Vielleicht ließt du dich mal durch meine Beiträge ein bissl durch wenn du magst, in vielen habe ich meine Übungen und Erfahrungen beschrieben.
Liebe Grüße von
Marika

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Sanna
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Re: Erwartungen

Beitrag von Sanna »

Geduld, Geduld, Geduld. Ist schwierig, ich weiß. Auch bei mir hat es ca. 2,5 Jahre gedauert bis ich so weit war. Und ich lerne immer noch täglich dazu. Am Ziel angekommen bin ich noch nicht.

Du bist erst relativ kurz erkrankt, da ist noch Luft nach oben. Bleib schön dran, dann wird das was.

LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
Tribunus

Re: Erwartungen

Beitrag von Tribunus »

Vielen Dank meine lieben, es tut so gut euch zu haben. Mir ging es gestern auch schon wieder viel besser. Ich werde es schaffen! Mit eurer Hilfe.
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