Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

Moderator: Moderatoren

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Eule86

Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Eule86 »

...
ich wache auf (manchmal auch schon nachts ab und zu) und spüre : Angst! Ich denke noch nicht mal irgendetwas. Ich spüre Unruhe, Übelkeit, Nervosität und ein "Ich schaff das nicht mehr zu leben".
Aber mein Verstand weiß, dass das alles Quatsch ist. Mein Verstand weiß, dass es alles sehr gut ist. Dass ich ein ganz tolles Zuhause habe, einen ganz tollen Mann, ein ganz tolles Kind, einen ganz tollen Hund, ein ganz tollen Job, keine finanziellen Sorgen..
Und warum spüre ich dann solche Gefühle???

Eigentlich bin ich total müde. Ich müsste eigentlich viel mehr schlafen und ich hätte auch die Gelegenheit dazu, denn meine Schwiegermutter ist da u macht das Baby. Aber... es geht einfach nicht. Und das ärgert mich.
Soll ich Atosil nehmen um schlafen zu können?
lotte

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von lotte »

Hey Du,

ich lag früher auch oft ab 04.00 mit Herzrasen im Bett, aus Angst vor dem Tag.
Und ja, auch bei mir gab es keinen rationalen Grund, alles war okay.
Keiner konnte verstehen, vor was genau ich Angst hatte und nicht mehr schlafen konnte.

Du spürst, was Du denkst. Sprich: Dein Gehirn kann nicht unterscheiden, ob da jetzt eine reale Gefahr ist, wegen der man unruhig sein müsste oder nicht. Deswegen ist es auch so unglaublich schwer, genau in diesen Angstmomenten den Verstand zu bemühen, damit der Entwarnung gibt.

Das heisst, du musst an die Ursache Deiner Ängste herankommen. Ist es Angst vor der Verantwortung, alleine sein mit dem Kind? Wie war das in Deiner Kindheit/Jugend? Hattest Du früher schon mit Ängsten zu tun? Musstest Du vielleicht als Kind schon früh zuviel Verantwortung übernehmen? Vielleicht für ein Elternteil? Das sind alles Dinge, die nicht unwichtig sind, und erklären können, warum Du jetzt selbst als Mutter mit Ängsten reagierst.

Am Ende hilft meist ein gutes AD + Therapie.

LGL
Astrid77

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Astrid77 »

Ich hab das immer in Stresssituationen. Es ist als ob es einen Schlag tut und ich bin vollkommen wach (um 4 oder 5), dann beginnt das Gedankenkarussell sich zu drehen und wird immer schlimmer. Mir hat eine Methode geholfen, die ich mal in einem Hörbuch von Manfred Winterheller gehört habe: Man spricht mit der Angst und sagt ihr "So, jetzt ist High Noon! Ich fordere dich heraus und du zeigst mir jetzt, was das schlimmste ist, das passieren könnte!" und die Bilder, die man dann (hoffentlich) sieht, machen die Situation greifbar, was die Angst entschärft. Eine Situation ist nie so schlimm wie die Angst vor ihr.
Was natürlich auch hilft, damit es zu diesen Angstattacken nachts gar nicht mehr kommt, ist ein Schlafmittel, und wenn es bei dir so schlimm bleibt würde ich auf jeden Fall was nehmen. Denn dann wachst du erst gar nicht auf - und wenn doch ist man so schläfrig dass es nicht sooo schlimm ist. Probier es doch einfach mal aus, mir hat es geholfen, dass ich das abstellen kann. Man kann auch Melatonin nehmen, das brauchst du nicht gleich zum schlafen nehmen sondern kannst es nur bei Bedarf eben um 4 auch noch nehmen und wirst spätestens 30-60 Minuten später schlafen.
Eule86

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Eule86 »

Hey ihr, danke für eure Antworten! !

Ja ich hatte schon früher mit Ängsten zu tun. Als meine Eltern auf dem Weg der Trennung waren hatte ich mit ca 10/11 Jahren plötzlich Angst abends ins Bett zu gehen und mit zu kriegen wenn meine Eltern selbst ins Bett gingen.
Ich bin dann aufgestanden, bin zu meiner Mutter und habe ihr gesagt, dass ich nicht einschlafen kann.
Sie hat mich weg geschickt.
Und dann wurde es so schlimm, dass ich richtige Ängste bekam. Zitternd und heulend alleine im dunklen Flur saß, möglichst nicht zu laut denn dann kam Mama u hat gemeckert.
Es war schrecklich. Und ja meine Eltern haben sich dann scheiden lassen mit einem riesigen Rosenkrieg der über meinen Kopf ausgetragen wurde.
Für meine Mutter ist die Welt auch heute noch nur in Ordnug, wenn ich funktioniere. Sie lebt ihr Leben. Sie fragt nicht mal wie es mir geht.
Das macht sie nicht, weil sie mich nicht liebt, sondern weil sie schlichtweg überfordert ist. Sie war es damals schon und sie ist es heute noch. Und sie ist auch sturr. Sie will nichts davon hören. Sie hat keinen Fehler gemacht, zumindest keinen den man sich eingestehen müsste.

Das ist der Hintergrund den ich weiß oder vor Augen habe.
Aber das Wissen ändert gerade nichts an meiner derzeitigen Lage und meinen starken körperlichen Reaktionen. Wovor ich jetzt speziell Angst habe, kann ich nicht sagen. Ich würde sagen, es ist die Angst vor dem Sterben. Ich habe nicht Angst, dass ich jetzt demnächst sterben muss, aber irgendwann. Oder dass jemand meiner Lieben sterben muss. Vor Abschied. Das ist ein großes Thema, das weiß ich.
Ich bin auch auf der Suche nach einer Langzeit-Therapie. Noch halte ich mich mit wöchentlichen Gesprächen in der Amblanz über Wasser.
Ich habe jetzt eine systemische Therapeutin die mich erstmal nehmen würde. Muss ich natürlich privat bezahlen, aber das ist mir egal.
Sie sagte nur, sie weiß nicht genau ob Systemik da der richtige Ansatz ist.
Was meint ihr? Traumattherapie? Verhaltenstherapie? Tiefenpsychologisch?
lotte

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von lotte »

Hey nochmal,

das Wissen um Deine nicht recht glückliche Kindheit (abgewiesen von der eigenen Mutter in Angstsituation) ändert natürlich nichts an der aktuellen Lage, also Deinen eigenen Angstmomenten. Denn, wie bereits erwähnt, mit dem Verstand kommst Du der Angst nicht wirklich bei. Später eher, wenn Du stabiler bist und die Dinge an ihren richtigen Ort packen kannst.

Aber es erklärt doch schon ganz gut, um was es bei Dir geht: Angst vorm Verlassenwerden, Verlustangst, wozu ja auch das Thema Tod passt.

Ich selbst habe 2 Verhaltenstherapien gemacht und bin damit gut gefahren. Zum einen lernst Du, wie Du mit der Angst umgehen sollst/kannst, zum anderen wird auch hier (also nicht nur in der Tiefenpsychologischen) ein Rückblick auf früher stattfinden. Hier wird dann versucht, die damalige hilflose Situation von Dir als Kind von Deiner heutigen zu trennen, so dass Du quasi fortan Dein eigenes erwachsenes Leben leben kannst.

LGL
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Marika
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Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Marika »

Hallo Eule,

ich gebe Lotte zu 100 % recht. Ändern wird das Wissen woher deine Ängste kommen zwar jetzt im Moment nichts, aber sie ERKLÄRT sie!!! Das ist schon mal die halbe Miete - denn damit kann man arbeiten! Dieses Angstmuster ist wie eine Art "Autobahn" in deinem Gehirn gespeichert und wird jetzt wieder aktiviert. Warum? Du warst damals als Kind überfordert mit einer Situation die Angst gemacht hat - und heute ist es nicht viel anders! Du bist jetzt Mama und bist zu 100 % für dieses kleine Leben verantwortlich - das kann und darf Angst machen! Dein Unterbewusstsein kennt so eine ähnliche Situation aus der Kindheit und automatisch wird die Reaktion "Angst" aktiviert. Genau so hat mir mein Therapeut das erklärt.

Wenn man das weiß, kann man auch in der Therapie sehr gut daran arbeiten. Was du da als Kind erlebt hast, hat traumatische Spuren hinterlassen und sich tief in dein Unterbewusstsein eingegraben. Daraus ist ein Verhaltensmuster entstanden, dass immer wieder im Leben aktiviert werden kann, wenn eine Situation entsteht, die dein Unterbewusstsein an "früher" erinnert.

Ich habe ganz Ähnliches erlebt als kleines Kind und dann als mein Sohn auf der Welt war, mit massiven Ängsten zu kämpfen gehabt. Erst als ich erkannt habe, woher das kommt, war in ich der Lage in einer Verhaltenstherapie an dieser "alten Angst" die jetzt in einer neuen Situation auf kommt, zu arbeiten. Daher ist es sooooo wichtig sich Hilfe in Form einer Therapie zu holen. Es geht im übrigen NICHT darum jemandem die Schuld zu geben, sondern einfach zuerst mal zu VERSTEHEN und dann in weiter Folge an diesem Verhaltensmuster zu arbeiten. Das erfordert Zeit und Geduld - aber es lohnt sich.

Natürlich ist es wichtig den Eisenwert richtig ein zu stellen, auch die Schilddrüse sollte überprüft werden. Meist liegt es aber nicht an diesen Gründen alleine. Am besten kommst du weiter, von du von allen Seiten schaust, was du tun kannst - also auch eine therapeutische Unterstützung ins Auge fasst. Für mich war die Verhaltenstherapie absolut richtig!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Eule86

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Eule86 »

Danke für eure Antworten!
Das hilft sehr sich auf die Schliche zu kommen! Oder zumindest eine Erklärung im Hinterkopf zu haben, auch wenn diese die körperlichen Symptome gerade nicht abstellt. Aber die körperlichen Symptome machen dann nicht mehr ganz so viel Angst, wenn man weiß, dass sie nicht willkürlich kommen, sondern ein krankhaftes System im Kopf sind, was mal irgendwann so gespeichert wurde.

Ich habe auf der Seite der Psychotherapeuten Praxis bei der ich mich "beworben" habe ein gutes Video gefunden, was diesen Zusammenhang mir auch nochmal ganz gut erklärt hat.
Ich teile ihn hier mit euch:
http://denkmuster.de/depression-wie-und-warum-1
Nox

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Nox »

Hallo ihr.

Ich habe zur Zeit ein ähnliches Problem.. ich wache morgens auf, und das erste, was ich merke, ist diese unbestimmte Angst, mit Magengrummeln und das Gefühl, Durchfall zu bekommen..ohne überhaupt schon einen klaren Gedanken gehabt zu haben.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich unterschwellig weiß, daß mein Partner gleich zur Arbeit geht.
Ich schlafe erstaunlich gut und fest ( Natürlich mit Unterbrechungen, stille mein Kind alle zwei bis drei Stunden), Nachts habe ich diese Angst nicht..
Wenn ich morgens erstmal aufgestanden bin, fange ich an, gegen die Zwangsgedanken zu kämpfen - das natürlich noch mehr Angst macht, besonders, weil ich tagsüber allein mit meinem Sohn bin.
Ich suche mir ständig eine Beschäftigung, wenn der Kleine schläft, oder gehe viel mit ihm draußen spazieren, um mich abzulenken.
Ist das o.k. so?
Oder muss ich noch mehr an der Angst arbeiten, indem ich mich noch mehr mit den Zwangsgedanken beschäftige?
Also bewusst Situationen herbeiführen, die mir Angst machen, bzw. in denen ich die Zwangsgedanken habe .. :cry:
Ich weiß ja, dass man nicht vermeiden soll.. aber soll ich mich mit Absicht der Situation aussetzen?.. Da kommt besonders wieder dieses ich-bin-ein-Monster-Gefühl hoch, Angst, die Kontrolle über mich zu verlieren.
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Marika
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Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Marika »

Hey Nox,

an den ZG arbeiten ja - aber nicht nur! Unbedingt so weiter machen wie du geschrieben hast: raus gehen ist wunderbar und hat auch mir damals sehr, sehr geholfen. Es ist wichtig, dass du dich mit dem Üben an den ZG nicht zu sehr überforderst! Natürlich darfst du versuchen dich "absichtlich" in angst machende Situationen zu begeben (oft ist das ja schon wenn man mit dem Baby alleine ist), aber bitte auch unbedingt einen Ausgleich schaffen, ja! 8)

Und ja, ich glaube auch die Angst am Morgen kannst du eins zu eins darauf zurück führen, weil du weißt, dass du jetzt gleich alleine bist. War bei mir haargenau so. Und was habe ich getan? Bereits am frühen Morgen den Kleinen fertig gemacht und raus gegangen in die Stadt, ein bisschen bummeln, dann heim kochen, evlt. Mittagsschlaf, dann aber wieder gleich raus oder befreundete Mamas oder meine Mama treffen. Ich habe mir den Tag straff strukturiert um wenig "Leerlauf" zu haben. Zum Üben an den ZG hatte ich trotzdem jede, jede Menge.... :wink:
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Nox

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Nox »

Liebe Marika,

Vielen Dank für deine liebe Antwort. :-)
Es stimmt, ich versuche auch so wenig wie möglich "Leerlauf" zu haben.. Als es ganz schlimm war, habe ich meinen Partner und meine Mutter förmlich angefleht, mich nicht mit dem Kleinen allein zu lassen.. beide mussten aber wirklich wieder arbeiten, beide hatten bereits 4 Wochen Urlaub.
Im Nachhinein vielleicht gut so, so musste ich eben schwimmen lernen. Die ersten Tage bin ich bald gestorben vor Angst, vor allem morgens.
Ich bin fast nur unterwegs - in die Stadt, zu Freunden und anderen Neumuttis. Egoistisch gesehen, ist es schade, dass es niemanden in meinem Umfeld gibt, der ähnliches durchmacht. Die anderen Muttis sehen alle so glücklich aus.. das macht einen auch a bissl mürbe. Man kommt sich vor, wie ein Alien. :|
Julikeks

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Julikeks »

Also ich glaube nicht das die anderen Muttis so uneingeschränkt glücklich sind. Gerade wenn es Erstmamas sind. JEDE Erstmama die ich kenne hatte erstmal zu knabbern an der neuen Situation, die Umstellung, wenig Schlaf usw.
Vielleicht zeigen sich Deine Freundinnen/Bekannten nach außen so fröhlich, aber innendrin sieht es in Wirklichkeit ganz anders aus. Bei mir wusste auch nur die allerbeste Freundin und die Familie Bescheid, dass es mir schlecht geht. Für alle anderen war ich eine Sonnenscheinmutti, obwohl ich mit postpartaler Psychose zwei Wochen stationär in der Klinik war.... Soviel dazu.

Lg, Julikeks
Nox

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Nox »

Hallo Julikeks,

Du hast natürlich Recht - bei mir weiß es auch nur die engste Familie und die beste Freundin. Und jeder, der mich nicht ganz genau kennt, sagt, wie entspannt und organisiert ich wirke. Super.. :shock:
Ist eben leider noch immer ein Tabuthema..
Glu

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Glu »

Hallo, hallo,

Auch ich kenne diese Morgenangst nur zu gut.. Das war so schlimm, ich bin durch Angst wachgeworden, war wie gelähmt. Total müde, aber schlafen ging gar nicht mehr.
Ich habe dann was fürs Durchschlafen bekommen und es wirkte super.
Konnte es schnell wieder absetzten als mein AD gut wirkte.
Vielleicht besprichst du das mit deinem Arzt, ob es nicht sinnvoll wäre was zu nehmen.

Ich wusste auch nicht wirklich, vor was ich Angst hatte, sie war einfach da..

Und auch ich dachte, schau mal wie glücklich die anderen mamas sind.
Doch das ist oftmals garnicht so. Ich wirkte nach außen hin auch glücklich. Lass dich davon nicht runterziehen, viele sprechen nicht darüber, wie es ihnen wirklich geht.

VG glu
Nox

Re: Ich verstehe die Morgen einfach nicht..

Beitrag von Nox »

Danke, Glu, ich versuche es :-)

Durchschlafen geht bei mir leider noch nicht, weil ich noch alle zwei bis drei Stunden stille. Ich glaube, der Schlafmangel ist auch ein Baustein, der zu der ganzen Situation beigetragen hat. Daran arbeite ich nun, lege mich tagsüber auch hin.. kann Gott sei Dank schlafen wie ein Stein.
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