Wie offen geht ihr mit der Krise um?

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

Moderator: Moderatoren

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Judi Blue

Wie offen geht ihr mit der Krise um?

Beitrag von Judi Blue »

Hallo zusammen,

wie geht ihr in eurem Umfeld mit der Krise um? Ich hatte anfangs sehr große Mühe, mich zu öffnen. Ich schämte mich so sehr dafür, nicht die super Mutter zu sein, die ich sein wollte (alles im Griff zu haben, fröhlich und bald wieder fit zum Arbeiten zu sein...). In den ersten zwei Monaten hätte ich mich am liebsten vergraben, niemanden auf Besuch haben wollen. Ich wollte am liebsten erst dann wieder rauskommen, wenn ich alles im Griff hatte.

Ich hatte anfangs nur im engsten Familien- und Freundeskreis von meiner PPD erzählt. Kürzlich habe ich begonnen, es Arbeitskollegen und meinem Chef zu sagen. Die Reaktionen waren durchwegs gut. Aber ich achte sehr darauf, wer welche Version der Geschichte zu hören bekommt. Ich finde, dass es so ein großes Tabu-Thema ist, wenn man wirklich drüber spricht - also ausspricht wie schwer die Depression ist, wie es mit den Zwangsgedanken ist, was es für die ganze Familie für eine Belastung ist. Ich lebe in einer ländlichen Gegend, in der nicht sehr offen mit solchen Themen umgegangen wird.

Wie handhabt ihr das?

Liebe Grüße
Judi
Wednesday

Re: Wie offen geht ihr mit der Krise um?

Beitrag von Wednesday »

Hallo Judi,

ich hab zwar noch keine PPD nur eine normale Psychose bis es hoffentlich endlich mit dem Kind klappt.
Bei mir weiss das in der Arbeit keiner, wenn da auch irgendwer was fragt erzähl ich immer diesselbe Geschcihte von Bandscheibe oder was körperlichem.
Das verstehen die meisten Leute sehr viel besser, aber Arbeitskollegen und Nachbarn halte ich sowieso auf Distanz.

von allen anderen Bekannten, Familie und Co hab ich das Gefühl das interessiert da auch keinen so besonders.
Da fragt kaum einer was zu dem Thema, also sag ich auch meist nix dazu.

Man hat am Anfang immer das Gefühl das man sich erklären oder outen muss weil man irgendwas angestellt oder verbrochen hat.
Ja man fühlt sich so furchtbar schuldig und denkt deshalb meist das man sich für die Krankheit entschuldigen und rechtfertigen muss.
Es ist aber nur eine PPD, Psychose, Depression o.äh.
Eine Krankheit für die man absolut nichts kann und die man sich nicht ausgesucht hat.
Diese Krankheit gaukelt einem aber sehr erfolgreich genau das Gegenteil vor.
In ein paar Monaten oder Jahren, wenn man wieder stabil ist, will man selber gar nicht mehr so oft daran denken oder drüber reden, weil sich nunmal kaum jemand gerne an Schmerzen erinnert.

Offene Menschen wie Du sind mir persönlich aber sehr viel lieber, als dieses ganze krampfhafte: "Darf ich sagen? darf ich nicht sagen? Findet ers doof oder hat ers nur nicht kapiert?" Dafür ist der Austausch mit anderen Betroffenen unabdingbar, sonst platzt man irgendwann.
Es bleibt aber leider immer ein kleiner Balanceakt.
Jeder hat seine andere individuelle Lösung für sich.
Für mich hat sich irgendwann eingependelt das ich mich nicht rechtfertigen muss, aber drüber genauso reden darf wie über andere Teile meines Lebens auch.
Denn das ist es durchaus ein Teil unsres Lebens nicht mehr nicht weniger. Der Entschuldigungszwang ist aber schon lange weg und das ist auch gut so.
Ich habe eine psychische Erkrankung. Ich bin keine psychische Erkrankung. End of Story

Ich glaube aber Du bist selbst ein sehr warmer und offener Mensch und der selbst fliessend Herz spricht und da tappt man immer wieder in das ein oder andere Näpfchen. Das ist aber trotzdem immer wert.

Grüsse
Judi Blue

Re: Wie offen geht ihr mit der Krise um?

Beitrag von Judi Blue »

Hallo Wednesday,

danke für deine liebe Antwort. Mir gefällt deine gelassene Sichtweise. Ich kenne es von einer früheren psychischen Erkrankung (Bulimie), dass man mit der Gesundung und Distanz der Jahre weniger bis gar nicht mehr darüber spricht/nachdenkt und es irgendwann einfach gut ist.

Die PPD ist bei mir noch nicht so lange her und auch noch nicht voll übertaucht, darum habe ich Mitteilungsbedürfnis und sehe es als den für mich richtigen Weg an, damit relativ offen umzugehen. Ja, da tappt man schon auch mal in das eine oder andere Fettnäpfchen. Aber wie du schon geschrieben hast, ist es das auch wert - ich treffe dabei jedenfalls auch auf viel Verständnis und positive Reaktionen.

Vielleicht gelingt es mir auch einmal in ein paar Jahren, das alles gelassen zu sehen. Jetzt ist es wohl noch zu frisch dafür.

Viele Grüße
Judi
Sunna_1982

Re: Wie offen geht ihr mit der Krise um?

Beitrag von Sunna_1982 »

Hallo,

ich kann deine Sichtweise, Ängste und anderen Gefühle sehr gut nachvollziehen.

Auch ich überlege, wie ich mit dieser Situation nun umgehen soll, wie du schon sagst, man schämt sich...man glaubt man sei die schlimmste Mutter, die es gibt (so ungefähr!).

Ich habe mich in den letzten zwei Wochen hier auch total verkrochen und eingeigelt. Will gerade niemandem großartig begegnen, der unliebsame Fragen stellt. Ich wüsste gar nicht, was ich dazu genau sagen soll.

Mir geht es genauso - ich will die Therapiezeit in der Klinik mit meiner Tochter herumkriegen und für mich bestmöglich nutzen. Aber nach außen sage ich den meisten, dass ich zur Kur fahre. Psychiatrie hat was negativ Besetztes, zumindest rede ich mir das ein.
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Marika
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Re: Wie offen geht ihr mit der Krise um?

Beitrag von Marika »

Hallo Ihr,

meine PPD ist schon 11 Jahre her. Ich bin von Anfang an recht offen damit umgegangen - die beste Entscheidung meines Lebens. Es nimmt enormen Druck aus der ganzen Situation weil man sich nicht verstellen muss. Kann jemand damit nicht umgehen, ist das schlicht und einfach dessen Problem und nicht euers. :wink: Auch Scham ist völlig unnötig - im Gegenteil - in dieser Situation sollte Hilfe und Anteilnahme von außen kommen. Nicht jeder kann das geben - aber diese Menschen sind dann für mein Leben auch nicht mehr wichtig gewesen - so habe ich mit der Zeit eine sehr entspannte Haltung einnehmen können.

Diese Offenheit war auch für meine Genesung ein ganz wichtiger Baustein, daraus ist mit den Jahren eine intensive Aufklärungsarbeit besonders hier im Forum geworden. Ich möchte mithelfen dieses Tabu in der Gesellschaft zu minimieren und das gelingt wirklich sehr gut - Dank Schatten und Licht und dem unermüdlichen Einsatz von vielen Frauen hier!

Ich verstehe aber schon sehr gut, dass man gerade am Anfang nicht so darüber reden möchte bzw. vielleicht auch nicht die richtigen Worte findet. Lasst das einfach auch "wachsen" - dieses sich nach außen öffnen muss nicht sofort da sein, aber lasst es als mögliche Option in euch "reifen". :wink:

Alles Gute euch!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Judi Blue

Re: Wie offen geht ihr mit der Krise um?

Beitrag von Judi Blue »

Danke für eure Antworten.
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