Restsymptomatik und geringere Belastbarkeit

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Asrai

Restsymptomatik und geringere Belastbarkeit

Beitrag von Asrai »

Hallo zusammen,

ich bräuchte mal wieder Eure Meinung und Einschätzung:

Mir geht es zum Glück viel, viel besser als in meiner Akutphase, in der mich meine innere Unruhe und Anspannung so gequält haben, dass fast durchgedreht wäre und kaum noch etwas auf die Reihe bekommen habe. Darüber bin ich wahnsinnig erleichtert und dankbar!

Was ich aber immer noch habe - mal stärker, mal schwächer - ist eine gewisse Grundanspannung und Nervosität bzw. ein diffuses Gefühl der Beklemmung oder Bedrohung (fällt mir schwer, das in Worte zu fassen). Außerdem ist da noch die Angst, wieder in ein so tiefes Loch zu fallen, wie direkt nach der Geburt meines Kindes. In meinem Alltag bin ich dadurch nicht groß eingeschränkt, wobei man sagen muss, dass die äußeren Umstände aktuell entspannt sind und ich mich von größeren Belastungen fern halte. Immer wieder austarieren muss ich auch, welche und wie viele soziale Kontakte mir gut tun. Merke, dass ich mehr Rückzug brauche als früher und leichter gestresst bin, was wiederum die Unruhe steigert. Auf der anderen Seite tut mir Ablenkung gut, da ich mich -wenn ich zu viel Zeit für mich habe- sehr auf die Unruhe fixiere und sie dadurch natürlich stärker wird. Bin zwar aus dem tiefsten Loch draußen, aber so richtig genießen kann ich mein Leben wegen der Restsymptome noch nicht.
Meint Ihr, dass es noch besser wird und die Restsymptomatik auch noch verschwindet? Habe Angst, dass es so bleibt, wie es ist und ich nie mehr meine vorherige Stabilität erreichen werde. Vor allem wenn ich daran denke, irgendwann wieder arbeiten zu müssen, habe ich die Sorge, dem nicht gewachsen zu sein (meine Arbeit hab ich immer ziemlich gemocht).

In meiner Psychotherapie (die leider nur 2wöchentlich stattfinden kann) bin ich an wichtigen Themen dran, auf das Mirtazapin kann ich aktuell verzichten, Schlafen klappt zum Glück auch ohne einigermaßen. Laut meinen Ärzten könnte ich entweder das Progesteron steigern (bin aktuell bei 200mg abends) und/oder die Sertralindosis erhöhen (zur Zeit 50mg). Die lassen mir da freie Hand, bin aber selbst so unschlüssig. Was meint Ihr?

Habe so Angst, dass mein Leben dauerhaft durch diese blöden Symptome beeinträchtigt ist.

Liebe Grüße,
Asrai
engelchen2012

Re: Restsymptomatik und geringere Belastbarkeit

Beitrag von engelchen2012 »

Hallo!

Ich hab gerade nicht im kopf, wie lange du schon krank bist, aber ich will versuchen, dir noch bissl mut zu machen. Je größer der abstand zur akutphase bei mir wurde, umso besser ging es mir. Auch wenn es irgendwann nur noch in kleinsten dingen bemerkbar wurde. Ich würde mich jetzt schon lange als stabil bezeichnen, habe aber trotzdem immer noch großen respekt vor der krankheit, zb wenn ich das AD reduziere. Ich bin insgesamt auch weniger belastbar bzw erkenne ich meine grenzen vielleicht einfach früher und reagiere schneller. Ich brauche mehr zeit für mich und die nehme ich mir auch, weil ich einfach nicht nochmal in dieses tiefe loch rutschen will. Ich würde sagen, eine gewisse portion achtsamkeit ist schon wichtig, um nicht wieder in den abwärtsstrudel zu kommen.
Und wenn du merkst, du brauchst abwechslung, dich mit freunden treffen etc, dann tu es. Mein psychiater sagt, alles was mir gut tut, ist erlaubt!

Ich nehme übrigens auch 50mg sertralin im mlment und bin jetzt den 3. zyklus dabei, ab tag 15 bioidentisches progesteron zu cremen.

Lg
Asrai

Re: Restsymptomatik und geringere Belastbarkeit

Beitrag von Asrai »

Danke, Engelchen, für Deine Antwort! Unsere aktuelle Medikation ist ja fast identisch :) Das Progesteron nehme ich durchgängig, da ich meine Tage noch nicht wieder habe. Hilft Dir das Progesteron?
Bei mir gings schon in der Schwangerschaft los, da habe ich es aber nicht als PPD erkannt. Die extrem schlimme Phase war dann gleich nach der Geburt, das ist jetzt 2-3 Monate her. Insgesamt habe seit knapp einem Jahr Symptome, wobei es nur ca. 4 Wochen waren, die extrem schlimm waren. Da will ich echt nie wieder hin...
Finde gut, was Du über das "eigene Grenzen erkennen" und "Zeit für sich" geschrieben hast. An dem Thema bin ich u.a. in der Therapie dran. Gar nicht so einfach rauszufinden, was einem wirklich gut tut und was man braucht...
Danke Dir fürs Mut machen! Brauche wohl noch viel Geduld (nicht grade meine Stärke) und da tut es gut von anderen positive Erfahrungen zu hören!
Sanna
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Re: Restsymptomatik und geringere Belastbarkeit

Beitrag von Sanna »

Hallo!

Ich hatte lange mit Restsymptomen zu kämpfen. Meine akute Phase war ca. 1,5 Jahre. Dann nochmal so lange bis die letzten Symptome verschwunden waren. Das letzte Mal gemerkt habe ich meine Erkrankung ziemlich genau drei Jahre nach Ausbruch. Seitdem bin ich SYMPTOMFREI!!! Das hört sich jetzt erstmal unheimlich lange an, aber es geht einem ja nicht drei Jahre am Stück schlecht. Mir ging es das letzte Jahr schon recht gut, so dass ich auch wieder arbeiten konnte, aber der letzte kleine Rest verschwand dann auch noch.

Ich glaube, das wird auch bei dir so sein. Es ist toll, dass es dir schon so viel besser geht!! Da der Trend eindeutig ist, kann man ziemlich sicher behaupten, dass im Regelfall eine komplette Gesundung möglich ist. Du wirst aber sicher verändert aus dieser Krise hervorgehen. Auch ich lebe heute anders. Ja, ich bin nicht mehr so belastbar. Das ist auch gut so, denn ich bin früher ständig über meine eigenen Grenzen gegangen! Heute ziehe ich eher die Reißleine. Ich achte viel mehr auf mich. Ich bin stärker und selbstbewusster. Für mich ist die Erkrankung heute eher Segen als Fluch, auch wenn es noch so schwer war.

Hab noch ein bisschen Geduld.

LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
engelchen2012

Re: Restsymptomatik und geringere Belastbarkeit

Beitrag von engelchen2012 »

Ich kann gar nicht sagen, ob mir das progesteron hilft... ich halte grundsätzlich schon viel davon, habe im moment aber eigentlich gar keine symptome, die ich damit "bekämpfen" möchte. Vielmehr hat sich beim speicheltest ergeben, dass sowohl der wert vom vitamin d als auch vom progesteron etwas zu niedrig sind. Darum creme ich momentan, merke aber eigentlich keinen unterschied zu vorher. Was an sich auch ok ist, es geht mir ja gut!!

Hatte nur nach der 1. schwangerschaft und ppd ein absolutes hormonchaos, darum wollte ich dieses mal rechtzeitig alles abchecken lassen., bevor es mir evtl doch wieder schlechter geht.

Und wie sanna auch so schön sagt, die krankheit kann tatsächlich auch ein segen sein. Wenn man gewisse gewohnheiten verändern oder ablegen kann. Mein beispiel ist immer der haushalt. Ich hatte hohe ansprüche, die ich auch mit kind halten wollte. Ich ging immer und immer wieder über meine grenzen hinaus (nicht nur im haushalt), inzwischen herrscht bei mir ein riesen chaos, ich beschränke mich einfach aufs wesentliche/wichtige, ich habe mehr zeit für die kids, nehme mir zeit nur für mich und es läuft (meistens *g*).

Einen schönen abend euch, für mich heißt's jetzt: ab aufs sofa und lesen!! Meine zeit für mich!
Asrai

Re: Restsymptomatik und geringere Belastbarkeit

Beitrag von Asrai »

Vielen Dank, Sanna, für Deinen Zuspruch! Und auch an Engelchen noch mal vielen Dank! Tut gut, sich mit (ehemals) Betroffenen auszutauschen!

Ihr habt vollkommen recht, es sollte nicht das Ziel sein, wieder genau so belastbar wie früher zu sein. Auch in meinem Fall hat die vermeintlich starke Belastbarkeit bedeutet, dass ich zu oft eigene Grenzen nicht erkannt habe und darüber hinweggegangen bin. Bei mir weniger im Haushalt (da herrschte schon immer Chaos), aber auf der Arbeit. Das ich meine Prioritäten zu oft auf die Arbeit gelegt habe und ein Großteil meiner Energie dafür drauf gegangen ist, ist ein Punkt den mir die Krankheit deutlich vor Augen geführt hat und den ich unbedingt ändern möchte. Ich will auch lernen, mehr im Moment zu leben und weniger zu planen bzw. alles optimieren zu wollen. Durch so eine Krise ordnen sich die Prioritäten neu. Ich möchte zum Beispiel künftig meiner Familie und mir selbst viel mehr Raum geben.

Durch die Krankheit habe ich viel Unterstützung durch meine Familie und Freunde erhalten. Einige Beziehungen haben sich sogar vertieft. Bin z.B. sehr dankbar, wie mein Mann zu mir steht und meine Eltern mich unterstützen. Merke, dass ich mich auf sie absolut verlassen kann. Das tut gut. Überhaupt weiß ich vieles, was mir früher selbstverständlich schien, mehr zu schätzen.

Jetzt wünsche ich mir einfach, dass ich keinen heftigen Rückfall bekomme und es weiter bergauf geht.

Eine gute Nacht Euch!
engelchen2012

Re: Restsymptomatik und geringere Belastbarkeit

Beitrag von engelchen2012 »

Oh ja, man lernt vieles mehr zu schätzen als früher. Obwohl mir schon immer bewusst war, dass es mir und meiner familie gut geht und wir eigentlich alles haben, was wir brauchen, wurde es mir doch nochmal sehr viel bewusster durch die krankheit. Vorallem auch, dass geld halt nicht alles im leben ist bzw dass man mit geld nicht alles kaufen kann.
Meine familie, vorallem meine mama, waren in der schweren zeit eine riesen unterstützung. Ohne sie hätte ich es nicht geschafft, ich konnte mich voll auf sie verlassen und mich einfach fallen lassen!

Ich drück dir die daumen und wünsche dir alles gute!
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