Ängste aus der Kindheit

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Marika
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Re: Ängste aus der Kindheit

Beitrag von Marika »

Hallo,

Angst ist ein Urinstinkt und ich glaube nicht, dass man das an einem bestimmten Alter festmachen kann. Denn schon im Mutterleib kann das Ungeborene Frühkindlichem Stress ausgesetzt sein, wenn die Mutter z.B. an Ängsten u.ä. leidet.

Traumatische Erlebnisse werden nicht einfach "vergessen" - oberflächlich betrachtet kann man sich nicht mehr erinnern - aber sie werden im Unterbewusstsein gespeichert. Der Hintergrund evolutionstechnisch gesehen ist, dass man in ähnlichen Situationen daran erinnert wird und richtig reagiert um eine weiter Verletzung zu vermeiden. In Urzeiten hat das Sinn gemacht. Die Urangst im Dunkeln oder vor Insekten ist logisch: Der Urzeitmensch wusste einfach: in der Dunkelheit bin ich ungeschützt den Wildtieren ausgesetzt und viele Insekten waren giftig. Noch heute ist die Angst vor Dunkelheit z.B. in unserem Unterbewusstsein.
Erlebt man nun ein Trauma, funktioniert der Mechanismus gleich: es wird im Unterbewusstsein gespeichert, um ggf. bei gleichen oder ähnlichen Situationen dich auf die richtige Reaktion vor zu bereiten. Der Haken ist nun aber der, dass so ein Trauma auch bei ganz banalen Situationen die höchstens im entferntesten an das Ursprungstrauma erinnern, hochkommen können. So reagierst du panisch aufgrund des Traumas auf eine Situation, in der es eigentlich gar nicht nötig ist. Und so kommt es dazu, dass dein ganz normaler Alltag ständig von Ängsten (auch von früher) eingeschränkt werden kann.

Ängste loslassen ist schon richtig - aber dazu musst du sie zuerst annehmen. Dazu gehört eine gute Therapie, die dich dahingehend leitet. Unter annehmen verstehe ich: die Ängste an zu schauen, zu analysieren woher sie kommen und dann aktive Strategien erlernen, wie du dich verhaltest, wenn solche Ängste hochkommen. Hier ist ein guter Therapeut gefragt, der mit dir solche Übungen und Strategien erarbeitet. Auch Bücher können helfen.
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
lotte

Re: Ängste aus der Kindheit

Beitrag von lotte »

Hey Katl,

Marika hat eigentlich schon alles wichtige gesagt. Je jünger man als Kind ist, desto unbewusster reagiert man auf äußere Einflüsse, demnach auch auf Verletzungen, Kränkungen. Da man in diesem Alter noch sehr von den Eltern abhängig ist, werden negative Erfahrungen zum eigenen Schutz dann erst mal verdrängt. Das Erlebte lässt sich nicht einfach vergessen, und das ist auch gut so, denn wir Menschen sind ja keine Maschinen, die "Fehler" einfach löschen könnten. Bei erneutem Ausbrechen von Ängsten muss man dann allerdings erstmal die schmerzhaften Dinge genau unter die Lupe nehmen, um sie dann ablegen zu können. Davor scheuen sich viele, nach dem Motto: Wasch mich, aber mach mich nicht nass". Viele haben Angst vor dem Ergebnis, zb einzusehen, dass ihre Eltern gar nicht DIE supertollen waren, für die sie sie heute noch gerne darstellen, um sich selbst zu schützen.

Ein negativer Krankheitsgewinn könnte zb sein, dass man es "genießt", wenn sich das Umfeld sehr um einen kümmert, weil es einem nicht gut geht.
Man verlässt sich dann lieber auf Mann/Familie als eigene Schritte zu gehen. Man bleibt damit quasi in der Kleinkindrolle von damals.
Positiv hingegen bedeutet, man arbeitet die Ängste auf und wird damit erwachsen und lebt ein selbstbestimmtes Leben.

LG
Lotte
Astrid

Re: Ängste aus der Kindheit

Beitrag von Astrid »

Ihr Lieben,

so wahr das alles sein mag, was ihr hier schreibt über frühkindliche Entwicklung und Angstwahrnehmung,trotzdem macht es mich traurig... . Und zwar, weil ich jetzt das Elternteil bin. Ich konnte meinen Sohn nicht annehmen und habe sicherlich oft nicht gut und richtig reagiert. Habe ihn abgelehnt. Nicht weil ich es wollte, sondern weil ich krank war... . Diese Gedanken waren es, die mir ein unendlich schlechtes Gewissen gemacht haben, und mir immer noch zwischendurch Angst machen, dass mein Sohn durch mich Schaden an der Seele genommen hat. Zwar kann ich das bis jetzt nicht erkennen, und meine Tochter entwickelt sich eigentlich ähnlich, aber ich bin immer wieder verunsichert. Ich glaube, dass man als eigenständiger Mensch alle Möglichkeiten hat sich zu entwickeln. Auch trotz negativer Einflüsse in der Kindheit. Die Kindheit ist doch nur ein Teil unseres Lebens. Ich möchte es zuindestens glauben. Und ich tue für meinen Sohn und meine Tochter jetzt alles um sie das auch glauben zu machen, das das Leben schön und voller Wunder und alles möglich ist. Ihr merkt, ich arbeite am positiven Denken :-) .

Liebe Grüße Astrid
lotte

Re: Ängste aus der Kindheit

Beitrag von lotte »

Hey Du,

sicher hat jeder die Chance und Möglichkeit, sich trotz Verletzungen in der Kindheit zum positiven weiterzuentwickeln - wenn er diese eben sehen, annehmen und verarbeiten kann. Die Kindheit ist der massgebliche Teil unseres Lebens, in dem unser ICH geformt wird, von daher eine sehr wichtige Zeit. Kriegen wir hier zb wenig Zuwendung, werden wir es später auch schwer haben, uns selbst und andere zu mögen.

Ich kenne Deine Ängste des Weitergebens an die eigenen Kinder. Oder dass sie gelitten haben könnten in den schlimmen Zeiten.
Meine sind heute 18 und 13,5 und sehr eigenständige selbstbewusste Personen. Weil es auch einen Vater gab, der sich gekümmert hat und weil ich, was noch viel wichtiger ist, erkannt/reflektiert habe, was mit mir los war und dieser Zustand nicht ewig gedauert hat, wie zb bei meiner Mutter.
Weil ich mir, wie Du auch, Hilfe gesucht habe. Das ist eine ganz andere Situation, als Dinge einfach laufen zu lassen oder sie gar noch zu verdrängen/verstecken.

LGL
Astrid

Re: Ängste aus der Kindheit

Beitrag von Astrid »

Liebe Lotte,

danke für deine beruhigenden Worte. Manchmal überkommt es mich immer noch, obwohl mein Sohn jetzt schon 11 ist, und wirklich unauffällig :lol: , so wie andere Jungs in dem Alter auch... . Es ist doch immer wieder wichtig sich bewusst zu machen, dass nicht eine Person alleine ein Kind erzieht und betreut, eigentlich sind es hoffentlich immer mehrere liebe Menschen, die sich kümmern.

Danke Dir Astrid
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Marika
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Re: Ängste aus der Kindheit

Beitrag von Marika »

Liebe Astrid,

du solltest dich in einem besseren Licht sehen, Süße! :wink: Denn ich bin überzeugt, dass du alles für deinen Sohn getan hast, auch in der schweren Zeit. Wir PPD Mamas denken immer, dass wir schlecht sind, oder nicht genug für unsere Kinder tun. Allerdings ist das eine verdrehte Sichtweise, die auch ein Krankheitssymptom ist. Frag mal dein Umfeld, wie sie dich als Mama wahrgenommen haben und wahrnehmen. Ich bin sicher - ganz anders, als du dich selber siehst.
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
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Astrid

Re: Ängste aus der Kindheit

Beitrag von Astrid »

Liebe Marika,

ja, ich habe mich in der schlimmen Zeit völlig aufgeopfert, eben bis zur Erschöpfung, weil mein Sohn ein Schreikind war. Aber innerlich habe ich mich immer weiter von ihm entfernt, ja ich habe ihn gehasst und abgelehnt. Da bleiben so Äußerungen von Hebammen, dass das erste Jahr im Leben eines Kindes so wichtig ist, natürlich hängen. Ich habe mein Kind immer versorgt und nie alleine gelassen, aber ich war oft laut, wütend und aufgelöst, bis ich eben nicht mehr konnte und abgedriftet bin. Leider hatte ich zu der Zeit wenig Unterstützung. Deshalb haben mich ganz arge Schuldgefühle verfolgt. Deshalb bin ich vor ein paar Jahren nochmal in eine Therapie gegangen. Genau wie Du sagst, hat die Krankheit immer noch seine Ausläufer, und sensibel werde ich in der Hinsicht wohl auch immer bleiben. Ich mache mir oft Gedanken um sein Wohlbefinden. Das ich noch ein Kind bekommen habe, war in dieser Hinsicht auch ein Segen, so haben sich meine Ängste wirklich relativiert. Ich danke dir für deine lieben Worte, die meiste Zeit weiss ich das alles auch immer sehr genau, nur manchmal... wenn die Hormone wieder passend sind, dann... .
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Marika
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Re: Ängste aus der Kindheit

Beitrag von Marika »

Liebe Astrid,

ein Schreibaby ist unglaublich anstrengend und bringt auch gesunde Mamas an den Rand der Verzweiflung und des Machbaren. Hast du gewusst, der höchste je gemessene Stresspegel dann entsteht, wenn das eigene Kind weint oder schreit? Das wurde bei Müttern eindeutig bei Studien nachgewiesen. Und jetzt hast du noch ein Schreibaby gehabt und nicht mal Unterstützung. Es ist also völlig NORMAL, dass du eine Art Ablehnung entwickelt hattest es damals. Ich kenne einige Mütter, denen es genau gleich ergangen ist wie dir - die haben ihr Kind auch abgelehnt, oder hatten eine sehr schwierige Beziehung eine Zeit lang. Das heißt aber nicht, dass du dein Kind in dieser Phase nicht geliebt hast, die Liebe war nur im Hintergrund - die anderen Gefühle im Vordergrund - und das aus völlig nachvollziehbaren und sogar wissenschaftlich belegten Gründen.

Das erste Jahr ist wichtig, klar - aber jedes darauf folgende mit Sicherheit genau so!!!! :wink: Du hast das toll gemacht -diese harte Zeit durch gestanden, sei stolz auf dich. Schau, ich war die ersten Monate auch nicht die Mama, dich ich hätte sein wollen - aber mein Sohn hat keinen Schaden genommen!
Liebe Grüße von
Marika

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